X Mal Deutschland - Deine Qual ist meine Lust (Biographie)


X Mal Deutschland - Orient (live) 

X Mal Deutschland standen in den frühen 80ern für die dunkle Seite des Punks und New Waves in Deutschland. Obsessionen, Wut und Resignation beherrschten die Musik und machten aus der Band quasi das deutsche Pendant zu den frühen Siouxsie and the Banshees. Bei DAF galt „Verschwende deine Jugend“, X Mal Deutschland spielten „Hymnen für die verdammte Jugend“ („Danthem“). Während die deutsche Musikpresse zurückhaltend bis ablehnend reagierte, konnten X Mal Deutschland vor allem in England große Erfolge feiern...

„In stumpfer Rocktradition „ihr Ding bringen“ wollen X-mal Deutschland; und dann halten sie nicht mal was von Sexy-Images. Dafür mehr von schwarzen Messen, zu denen Fiona (18, Schottin, ihr Vater wohnt auf Jamaika, wo er eine schottische Likörfabrik besitzt) ihre selbstgebastelten Voodoopuppen mitbringt. Das einzige, was ich ihnen abnehme ist, daß sie als kleine Amateur-Garagen-Depressorocker zuviel schlechte Bücher gelesen haben und ansonsten auf Pfefferminzschokolade, Hamburger, Ami-Cabrios vor 1960 und deutsche Horrorstummfilme stehen“
(Kid P. in Sounds 05/82: Die Wahrheit über Hamburg)

X Mal Deutschland 11980 gründeten 5 Frauen in Hamburg X Mal Deutschland: Anja Huwe (Gesang), Manuela Rickers (Gitarre), Fiona Sangster (Keybords), Rita Simon (Bass) und Caro May (Schlagzeug). Benannt wurde die Band nach einem Buch von R. W. Leonardt - einer sozialpolitischen Abhandlung über das Deutschland der 50er Jahre. Schon nach einigen wenigen Konzerten u.a. mit Palais Schaumburg und Wirtschaftswunder kam es zu einer Umbesetzung und Rita Simon wurde durch Wolfgang Ellerbrock ersetzt. Nach einem Festival mit den Einstürzenden Neubauten, Abwärts u.a. wurde die erste Single „Schwarze Welt/Großstadtindianer“ auf ZickZack veröffentlicht, die sich rund 2000 mal verkaufte. Die Single erregte erste Aufmerksamkeit in England und bekam dort positive Kritiken. So schrieb das Post Punk Magazin Zig Zag: „The wildest sounding single of the year, hard but melodic“. Nach der Veröffentlichung von „Kälbermarsch“ auf dem ZickZack Sampler „Sommerhits 1981“ folgte 1982 eine Tour mit DAF. Im Februar erschien, wiederum auf ZickZack, die zweite Single „Incubus Succubus“, die von Frank Z (Abwärts) gemixt wurde. „Incubus Succubus“ ist ein Lied voller dunkler Obsessionen. Die Musik ist aggressiv und ungestüm. Lärmende Gitarren, ein scheppernder Beat und der schneidend-schrille Gesang von Anja Huwe fressen sich in Körper und Seele. Gerade die in den Sound gemixte Stimme sorgt für eine bedrückende Atmosphäre voller Verzweiflung.

Der Titelsong der der Maxi hat sehr viel Kraft und Macht und erinnert stark an Siouxsie & The Banshees in besseren Tagen. Die beiden B-Seiten-Stücke sind etwas monoton geraten, obwohl das skamäßige „Blut ist Liebe“ einen netten Kontrast zwischen Text und Musik herstellt.
(Diedrich Diedrichsen in Sounds 05/82)

Incubus SucubusJohn Peel wurde auf die Band aufmerksam und lud X Mal Deutschland zu einer ersten von insgesamt vier Peel-Sessions nach England ein. Wenig später verließ Caro May die Band und wurde durch Manuela Zwingmann ersetzt. Wurden X Mal Deutschland oftmals als Teil der Neuen Deutschen Welle gesehen, so verweigerten sie sich einer Vereinnahmung durch eine irgendwie geartete Bewegung. X Mal lehnten Angebote von Major-Labels ab und gingen stattdessen ihren eigenen Weg, der nach England führen sollte. Durch die guten Kritiken der ersten Singles kam dieser Schritt nicht überraschend. Durch ein Demo-Tape landeten sie beim 4AD Label (Modern English, Cocteau Twins, später Pixies) und waren damit die erste und bislang letzte deutsche Band auf dem englischen Kultlabel. Im November 1982 traten X Mal als Support Act von Cocteau Twins zum ersten Mal in England auf und beeindruckten die Engländer mit ihrer Energie.

„Schrei doch, wein doch“ (Zeit)

Wenige Monate später folgt die Veröffentlichung der ersten LP „Fetisch“ bei 4AD. Nicht nur für X Mal sollte dieses Albums das Debüt sein, sondern auch für 4AD Labelchef Ivo Watts (This Mortal Coil) war es die Premiere als Produzent (als Engineer war übrigens John Fryer (Nine Inch Nails, Depeche Mode) beteiligt). Das Album beeindruckt mit seiner Frische und Energie, die auf direkte Konfrontation zielt. Die Musik ist voller Wut und Verzweiflung - dunkel, morbide und gefährlich.

„..it was like exorcism. A lot of people didn´t understand it, thought it was negative, aggressive and wild. Of course it was! But there are so many sides...“ (Anja Huwe, Melody Maker 1987)

In England bekommt das Album euphorische Kritiken. Auch die Tatsache, dass die Texte - bis auf einzelne Textzeilen - nur in deutsch sind, stört nicht, da Anja Huwe ihren Gesang wie ein Instrument eingesetzt. Die Band ging auf Tour und supportete die großartigen The Dance Society. Das Album „Fetisch“ erzielte in den britischen Independent Charts die Position 3 – hinter Gruppen wie New Order und Aztec Camera.

„It´s difficult to say why we´ve been so successful in England, but people over there realized that we had a lot more to offer than the unsual run-of-the-mill Neue Deutsche Welle bands.“
(Wolfgang Ellerbrock,
http://www.xmal.com/)

Nach einer erfolgreichen Headline-Tour durch England wurde die 12Inch „Qual“ veröffentlicht. Darauf ein percussiver Dance Remix von „Qual“ sowie „Zeit“ und „Sehnsucht“. Emotionale Höllentrips!

„Deine Qual ist meine Lust – meine Liebe ist dein Tod
nachts wenn du schläfst bin ich lebendig
meine Wiege ist dein Grab
mein Tag ist deine Dämmerung
I´ll murder you“
(Qual)

X Mal DeutschlandDie Maxi erreichte die Spitze der britischen Independent-Charts und blieb dort einige Wochen. Nach einigen Konzerten in Europa (u.a. auch in Deutschland) veröffentlichte die Band eine Neuaufnahme von „Incubus Succubus II“. Das Lied ist mit einem harten, tanzbaren Beat unterlegt und in seiner Schärfe absolut auf den Punkt gebracht. Trotzdem kann ich nur jedem empfehlen sich auch die alte, raue ZickZack-Version zu besorgen. Nachdem auch Manuela Zwingmann die Band verließ, begannen sie mit den Aufnahmen zum neuen Album. An den Drums war ab nun Peter Bellendir. Im Juni 1984 wurde via 4AD das neue X Mal Deutschland Album „Tocsin“ veröffentlicht. Die englische Presse beschrieb das Album als eine teutonische Hochzeit aus Siouxsie-Goth und den mystischen Cocteau Twins. Das Album ist voller dunkler Klangperlen von eher sprödem und rauem Charakter. Es dominieren mystische Keyboardgeflechte, treibende Drums, dominanten Bassläufen und Gitarrenriffs voller sägender Schärfe. Dagegen ist der Gesang nicht mehr so hysterisch schrill. Höhepunkt des Albums ist das schöne „Mondlicht“, das längst ein Gothic Klassiker ist.

Dem Album folgte eine Europa-Tour und wenig später eine erste Amerika-Tour. Während vor allem in Großbritannien X Mal Deutschland große Erfolge feiern konnte, galt in Deutschland die Weisheit von dem Propheten, der im eigenen Land nichts zählt. Oft kam der Vorwurf X Mal seien nur eine Kopie von englischen Bands und passten von daher nicht in das Umfeld der Neuen Deutschen Welle.

„They say ’Oh it´s an english copy’, but over here they say ’Oh it´s different’"
(Manuela Rickers, Melody Maker 1982)

Vergleiche mit Siouxie and the Banshees und Killing Joke uwurden gezogen. Das Album „Tocsin“ sollte nach 3 Jahren Zusammenarbeit die letzte Veröffentlichung auf 4AD sein. Die Band gründete ihr eigenes Label Xile und brachte die EP „Sequenz“ via Red Rhino raus. Mit „Autumn“ war auch erstmals ein rein englischsprachiger Titel dabei. Der Sound zeigte sich klarer und erstes Licht (Pop?) durchdrang die Musik. Herausragend ist das wavig-treibende „Polarlicht“. Nach dieser Veröffentlichung begab sich die Band auf die „Around-the-world“-Tour, die u.a. nach Japan und wiederum in die USA führen sollte.

1986 schlossen X Mal Deutschland einen Vertriebsdeal von Xile mit Phonogram ab und veröffentlichten die 7inch und 12inch „Matador“, die von Hugh Cornwell, dem Sänger der Stranglers, produziert wurde und es bis in die Popcharts schaffen sollte. Danach spielten X Mal im Vorprogramm der Stranglers mit dem Höhepunkt eines Konzertes in der Wembley Arena 1986.

„One of the most elevated pop moments of 1986 (you missed?) occured at Wembley Arena in November when Anja snared at a lot throng of yobbish slobbering Stranglers fans: „A bit more respect!!“ Except it was pronounces “resschpekkt“ with poision daggers as exclamation marks“
(Chris Robberts, Melody Maker 1987)

„Being on this big stage while people are coming and sitting down, smoking, drinking - I hated that.“
(Anja Huwe, Melody Maker 1987)

Anjah Huwe Auf „Viva“ zeigen sich X Mal gereifter und optimistischer. Die Songs sind ausgearbeiteter und facettenreicher. Die z.T. chaotische Aggressivität voller Dissonanzen und morbider Stimmung ist einem atmosphärischen New Wave Sound gewichen. Statt Depression herrscht nun Melancholie. In England nannte man dies „spooky Gloom-Pop“. Der Sound wird bestimmt durch New Wave Drums, Keyboard-Tupfer, Joy Division-Gitarrensound und dem einzigartigen Gesang von Anja Huwe. Die Sängerin hatte ihre Art des Gesangs gefunden und so sind die schrillen Dissonanzen vergleichbar einer Siouxie während derer Punk Phase parse. Große Melodien voller Dramatik finden sich auf dem Album. Stücke wie „Eisengrau“, „Illusion“ sowie „If Only“ stehen für diesen neuen Stil. Für mich ist Viva eines der schönsten Alben der 80er. Typisch für X Mal Deutschland ist weiterhin die Vermischung von deutsch und englisch in den Texten – etwas, was heute auch wieder bei Bands wie Mia. zu beobachten ist.

Nach dieser Veröffentlichung und einer Europa-Tour zerbrach die Band. Drei Mitglieder (Manuela Rickers, Fiona Sangster und Peter Bellendir) verließen die Band.

„We’d see the split coming. Some Bands, it seems, are drawn closer together by their shared experiences, other drift apart. Originally it was our similar interest in literature, music and art that held our friendship together. With the time, though, this begun to change and we grew further and further away from one another.“
(Anja Huwe und Peter Ellerbrock,
http://www.xmal.com/)

Nur noch aus Anja Huwe und Peter Ellerbrock bestehend, machen beide als X Mal Deutschland weiter. 1988 begannen die Arbeiten und Proben für neues Material. Unterstützung fanden sie in Joe Clis (ehem. Human League) und Franz Z (Abwärts), der Gitarre spielt. Das Album „Devils“ erschien 1989 bei Polygram Deutschland. Obwohl es in Deutschland aufgenommen und bei einem deutschen Label veröffentlicht wurde, ist es dass es das erste X Mal Album, bei dem die Texte durchgehend in englisch sind. Das Album ist eine typische Major-Veröffentlichung aus den Endachtzigern. Glattgebügelter Pop, der das Album belanglos macht. Zwar finden sich auch schöne Momente wie die erste Single „Dreamhouse“, „When Devils come“ und „All in my Head“, aber ansonsten fehlen dem Album die Kanten. Stattdessen gibt es Hardrock-Gitarren-Soli. Nicht verwunderlich, wurde doch als Produzent Henry Starodte verpflichtet, der zuvor Keyboards bei Warlock (!) gespielt hat. England blieb diese Veröffentlichung erspart, was auch besser war.

Die Platte floppte und damit waren X Mal Deutschland dann endgültig Geschichte. Versöhnlicher Abschluss der unseligen letzten Phase der Band war die schöne B-Seite der letzten Single: "The girl in the iron mask", geschrieben von Billy Bragg. Mit dieser Veröffentlichung schließt sich das Kapitel X Mal Deutschland. Die Band löst sich endgültig auf. Gerüchte um ein Angebot der Cramps in deren Vorprogramm 1991 zu spielen hielten sich, aber nichts sollte mehr kommen...

Nachtrag:
Anja Huwe war in den 90ern als Programmdirektorin beim Musiksender Viva für die Sendung „Housefrau TV“ zuständig. Mittlerweile lebt sie als freie Künstlerin in Hamburg und New York. unruhr sprach mit ihr.....zum Interview


X Mal Deutschland - live in Detmold / WDR Rock Convoy

Wer übrigens keine Lust hat bis zu 100 Euro oder mehr für die "Schwarze Welt/Großstadtindianer"-Single zu zahlen, der besorge sich den Sampler "Punk Rock BRD Vol. 2" (Weird System/Indigo) auf dem zumindest das Stück "Großstadtindianer" erstmalig auf CD enthalten ist.

Quellen:
http://thearchive.free.fr/arch-xmalpict.htm
http://personal1.iddeo.es/blancinegre/xmal_discography.html (Diskographie)
http://www.newwavephotos.com/ (Fotos)
http://www.anjahuwe.com/

Review des legendären Batcave-Samplers

(Clan of) XYMOX Biographie:
Teil 1: Subsequent Pleasures (1983 - 1985)
Teil 2: Medusa (1986 - 1987)
Teil 3: Imagination (1988 - 1991)
Teil 4: Metamorphosis (1992 - 2001)
Teil 5: Vaselyn, Hypercycle, Born for Bliss (Post-XYMOX)

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