Reggae - Dub, Deejays und Dub Poetry

Dub gehört fraglos zu den spannendsten und einfallsreichsten Stilrichtungen nicht nur des Reggae, sondern der gesamten Popmusik. Alles begann Ende der 1960er Jahre, als die Mehrspurtechnik auf Jamaika Fuß fasste. Zunächst waren es einfache 2-Spur-Aufnahmegeräte, die eine getrennte Aufnahme von Musik und Gesang erlaubten. Schnell wurde es auf 4 Spuren erweitert. Dadurch wurde die Aufnahme in mehrere Teile gesplittet.

Am Mischpult wurden die einzelnen Tonspuren schließlich zum Song zusammengeführt. Es war King Tubby, der als erster das kreative Potenzial eines Mischpultes entdeckte. Beim Abhören von neuen Aufnahmen begann er die Gesangspur auszublenden oder Bass und Schlagzeug ein- und auszublenden, mal etwas lauter, mal etwas leiser. Was er hörte, war sensationell. Er fertigte schnell das ein oder andere Dub-plate und testete sie in seinem eigenen Sound System (Sound Systems und Produzenten). Damit trieb King Tubby die Leute zur Raserei. Weitere Sound Men sprangen auf den Zug auf und entwickelten Dub zu einer völlig neuen Form des Reggae.

Man muss Dub hören, um seine volle Kraft zu spüren. Im Prinzip ist es eine nahezu instrumentale Variante von Reggae-Tracks, deren Gefüge durch ein- und ausblenden einzelner Spuren verändert ist. Mal hört man nur die Stimme. Mal sind es nur Bass und Schlagzeug, mal ist es nur Gitarre oder Keyboard. Doch der Mixer lässt zwischendurch immer den vollen Sound zurückkehren. Darüber hinaus spielt der Mann am Mischpult mit Hall- und Echoeffekten, mit abrupten Brüchen, mit dem Integrieren externer Geräusche wie Autos, Motorräder, Eisenbahnen, Kindergeschrei, Hundegebell, Pistolenschüssen undundund. Dem Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt. Ein guter Dub kann beim Hörer eine enorme Spannung aufbauen. Der experimentelle, spacige, manchmal mystische Sound bietet immer neue Überraschungen, selbst nach vielfachem Hören eines Stücks.

Die 1970er bis Mitte der 80er Jahre waren die große Zeit des Dub. Leute wie King Tubby, Prince Jammy, Lee „Scratch" Perry, Scientist, Keith Hudson etc. übertrafen sich selbst mit ihren Mixes. Rasch war es üblich, eine Reggae-LP auch als Dub-LP abzumischen und zu veröffentlichen. So gibt es von vielen großen Alben hervorragende Dub-Mixes (Disco-/ Bibliographie). In England etablierte sich ebenfalls ein großer Dubmaster: Mad Professor mit seinem Ariwa Sounds Studio. Mad Professor ist auch gerade durch seine Zusammenarbeit mit Lee „Scratch" Perry in den letzten Jahren groß im Geschäft (Disco-/ Bibliographie).

Die Musik-Szene außerhalb Jamaikas wurde aufmerksam. Die heutige Remix-Praxis der Pop- und Rockmusik geht im Wesentlichen auf den Dub zurück. Das Dub-Revival der 1990er Jahre in England war ein entscheidender Einfluß für Genres wie House, Trance und Ambient.

Ein weiteres Kernstück der Reggae-Musik sind die sogenannten DeeJays. Darunter versteht man auf Jamaika nicht etwa den Plattenaufleger (jamaikanisch: Selector), sondern den „Conférencier" eines Sound Systems (Sound Systems und Produzenten). Oft bezeichnet man sie auch als „Toaster", ihren Style als „toasting". Ursprünglich waren dies die Männer am Mikro, die durch witzige Sprüche die Songs eines Sound Systems einleiten sollten. Nach und nach hat sich daraus eine eigene Kunstform entwickelt und innerhalb sowie außerhalb des Reggae fest etabliert.

Pionier des Toasting ist U-Roy. Auch hier war die Mehrspurtechnik der Ausgangspunkt. Sie forcierte eine heute noch gängige Praxis im Reggae, dass auf die B-Seite einer Single die Instrumentalversion der A-Seite gepresst wird. U-Roy erkannte 1969 als erster, das diese „Versions" und die später dominierenden Dubs eine ideale Plattform für den DeeJay bildeten, um die Stücke nicht nur mit ein oder zwei witzigen Sprüchen anzukündigen, sondern die Performance auszuweiten und im Rhythmus das gesamte Stück zu „besprechen". Die ersten Versuche U-Roys schlugen im Sound System wie eine Bombe ein. Zeitweise belegten Stücke von U-Roy die ersten drei Plätze der jamaikanischen TopTen.

Der neue Stil boomte. Viele der großen Reggae-Stars waren oder sind DeeJays: Big Youth, Dillinger, Yellowman, Beenie Man u.v.m. (Disco-/Bibliographie). Die Deejays entwickelten sich im Lauf der Jahre zum Sprachrohr der Bevölkerung auf Jamaika. Sie waren akustische Tageszeitungen, da ihre Toasts oft brandaktuelle Themen aufgriffen. Große Deejays lieferten sich wahre Rededuelle über aktuelle Geschehnisse. Tat ein Toaster seine Meinung zu einem Ereignis kund, erschien bereits am nächsten Tag eine Single eines Anderen mit einer „Answer version", die eine abweichende Auffassung vertrat. Oftmals handelte es sich dabei auch nur um die Beurteilung der eigenen Qualität, inklusive Beschimpfungen des Konkurrenten.

Die Verbindung der DeeJay-Kultur zur heutigen Musik ist nicht schwer nachzuvollziehen. Ohne Wenn und Aber muss man die jamaikanischen DeeJays als die Väter des Rap bezeichnen. Es war ihr maßgeblicher Einfluß, der den Stein des HipHop ins Rollen brachte.

Aus dem Toasting-Style ging eine andere Gattung des Reggae hervor, die von Außenstehenden zunächst nur schwer von der DeeJay-Performance zu unterscheiden ist: Dub Poetry. Es handelt sich dabei um Interpreten, die Lyrik zu Reggae-Rhythmen vortragen. Ein englischer Intellektueller jamaikanischer Abstammung gilt dabei als Vorreiter. 1978 veröffentlichete Linton Kwesi Johnson sein erstes Album und präsentierte politische Gedichte im neuen Gewand. Oku Onoura und der später sehr erfolgreiche Mutabaruka griffen diesen Trend auf und kommentierten die jamaikanische Wirklichkeit in anspruchsvoller Form. Weitere Interpreten kultivierten die intellektuelle Auseinandersetzung mit Rastafari, sozialen Missständen, Neokolonialismus und anderen Problemen und machten Dub Poetry zu einem ausdrucksstarken Organ des Reggae.

weitere Reggae-Schwerpunktthemen bei unruhr:
Geschichte des Reggae
Sound Systems und Produzenten
Rastafari
Bob Marley
Reggae inna Germany
Disco-/Bibliographie
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