Die Rastafari-Bewegung auf Jamaica ist in unserer Wahrnehmung häufig untrennbar mir dem Reggae verquickt. Dabei ist Reggae nur eine - wenngleich wohl auch die bekannteste - Ausdrucksform der Rasta-Philosophie. Nicht jeder Rastaman macht Reggae, genauso wenig wie jeder, der Reggae macht, Rasta ist.
Die vielen als Rastalocken bekannte Haarparcht, die man besser als Dreadlocks bezeichnet, sagt nichts über den weltanschaulichen Hintergrund des Trägers aus. Auch trägt nicht jeder Rastaman Dreadlocks. Die Sachlage wird noch nebulöser, wenn es um die Inhalte der Rastafari-Bewegung geht. An dieser Stelle beleuchten wir deshalb zunächst die historische Entwicklung der Bewegung.
Am Anfang steht: "Seht nach Afrika, dort wird ein schwarzer König gekrönt werden. Er wird der Erlöser sein." Diesen Satz soll Marcus Garvey 1916 gesagt haben. Marcus Mosiah Garvey wurde 1887 auf Jamaica geboren. Er entwickelte sich zu einem führenden Verfechter der schwarzen Emanzipationsbewegung am Beginn des 20. Jh. Bereits 1914 gründete er die "Universal Negro Improvement Association" (UNIA), die u. a. die Rückführung der Schwarzen aus der Diaspora zurück nach Afrika zur Aufgabe hatte. Viele seiner Ideen wurden später von Leuten wie Martin Luther King oder Malcolm X erneut aufgriffen. Später wurde Garvey immer häufiger mit Betrügereien in Verbindung gebracht. 1940 starb er desillusioniert in England.
Doch seine angebliche Prophezeiung ging in Erfüllung: Im November 1930 wurde Ras Tafari Makonnen unter dem Namen Haile Selassie I. zum Kaiser von Äthiopien gekrönt. Das setzte auf Jamaika die Rastafari-Bewegung in Gang, die sich nach dem ursprünglichen Namen des Kaisers benannte. Die Rastas und ihr Kampf für schwarze Gleichberechtigung wurden lange Zeit kriminalisiert. Sie hatten einen schweren Stand auf Jamaica. Ein Umdenken setzte erst in den 1960er Jahren ein, und mit der Einbindung in die Reggae-Kultur schuf sich die Bewegung ein weltweites Sprachrohr. Die überwiegende Anzahl der Reggae-Interpreten gehört der Rastafari-Bewegung an und verbreitet deren Ideale mit ihrer Musik. So kommt es, dass diese Weltanschauung trotz der relativ geringen Zahl ihrer Anhänger überaus bekannt ist.
Die Bekanntheit beschränkt sich aber oftmals lediglich auf Äußerlichkeiten. Die Inhalte dieser Philosophie verschließen sich meist dem Außenstehenden. Das liegt auch am Aufbau der Bewegung. Es gibt unzählige verschiedene Strömungen innerhalb des Rastafarianismus, die wiederum unterschiedliche, z. T. widersprüchliche Ausdrucksformen zur Folge haben. Das unterscheidet die Rastafari-Bewegung von anderen religiösen Wertegemeinschaften: Es gibt keine einheitlichen Grundsätze, Dogmen oder Rituale. Man kommt nahezu ohne hierachische Strukturen aus, gestützt durch die unmittelbare, direkte Auslegung der Bibel.
Weitgehende Einigkeit herrscht in der Anerkennung Haile Selassies als Gott ("Jah") bzw. Reinkarnation Jesus Christus', der Göttlichkeit jedes einzelnen Menschen und der Ablehnung des westlichen Wertesystems ("Babylon"). Abweichende Vorstellungen gibt es bereits bei der Frage der Rückführung aller Schwarzen in ihre eigentliche Heimat Afrika und bei der Verehrung von Marihuana ("Ganja") als heiliges Kraut der Meditation, die bei uns dazu führt, jeden Reggae-Musiker und Fan für einen Monsterkiffer zu halten.
Diese Punkte erklären in mancher Hinsicht die Verständnisschwierigkeiten bei Rasta-orientierten Reggaetexten. Schon die Apotheose Haile Selassies stößt bei vielen auf Unverständnis, da unsere Schulgeschichte Haile Selassie I. zum Despoten stempelt. Das Verständnis wird noch dadurch erschwert, dass die Texte selbst für denjenigen Hörer ungeahnte Probleme aufwerfen, der der englischen Sprache mächtig ist. Zumeist handelt es sich nämlich um eine Kombination aus "Jamaican Patois", der Umgangssprache auf der Insel, versetzt mit reichlich Rasta-Idiomen und altenglischen Zitaten aus der Bibel: Ein schwer verdaulicher Sprachcocktail.
Grundsätzlich ist Rastafari der Auffassung, dass das Gute in der Welt eines Tages stark genug sein wird, das Böse zu besiegen, und Friede und Gerechtigkeit herrschen werden. Folgender Ausspruch eines unbekannten Rastas fasst das prägnant zusammen:
"Gott ist gekommen, um die Gefangenen zu befreien, auf der ganzen Erde. Und alle, die wissen, dass er der große Rastafari ist, sollen zum Baum des Lebens kommen, gleich welcher Nationalität oder Sprache sie sein mögen."
Foto: Katja Helten
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