Queen - Queen II (1974)

schön schattigDie Platte kann im Regal stehen bleiben. Ich kenne auch heute noch alle Titel in der richtigen Reihenfolge und kann jeden von der ersten bis zur letzten Zeile mitsingen. Vielleicht nicht immer wörtlich korrekt, aber zumindest phonetisch.

Damals (ok, ich hab sie erst 1979 gekauft, aber egal) war es nicht üblich, gleich die Texte mit abzudrucken. Man musste schon genau hinhören. Zum Glück war [[Freddie Mercury]] jemand, den man auch im gewaltigsten Gitarrenkreuzfeuer immer akustisch orten konnte, mit einer - auch live übrigens - traumhaft sicheren Intonation, einem Timbre jenseits aller irdischen Maßstäbe und einer Dynamik, vor der solche pseudoepigonalen Klangwurstfachverkäufer wie Robbie Williams jedes Mal in die Knie gehen und Augenwasser verlieren.

Ich fühle mich gut, wenn ich das schreibe, weil ich mal ein großer Fan von Queen war. Nein, ich gestehe es: Ich bin es immer noch oder jetzt nach nochmaligem Hören wieder geworden, selbst wenn ich mich damit heute am Rande der gesellschaftlichen Anerkennung bewege. Auch als andere schon lieber Peter Heins Rumpelpunk oder die Düsterdrohnen von Bauhaus verhörten, legte ich immer noch voller Wonne Platten von Queen auf.

Mag sein, dass ihre Musik zwischenzeitlich zum lämmrigen Stadionrock verkommen ist, der heute sogar als Musical seniorisiert wird. Mag sein, dass sie immer auch gute Geschäftsleute waren, die es verstanden marktkonform zu komponieren. Mag sein, dass "We are the champions" keiner mehr hören kann, weil es selbst auf dem Kreisklassensportplatz des SV Dingen bei mir gegenüber abgenudelt wird. Und "We will rock you" schon gar nicht, weil es als Prollhymne von den spießigsten und abgeschmacktesten Ballonseideblödmännern dumpfgegrölt und okkupiert wurde.

Und doch solltet ihr euch nur einmal kurz vorstellen, was diese Lieder beim ersten Hören, damals 1977, in ihrer kongenialen Einheit auf dem Album "News of the World" ausgelöst haben: Zunächst dieser reduzierte Pre-Hip-Hop-I-stand-alone-Shouter, der mit einem der genialsten Riffs abschließt, das jemals eine besaitete Musikmaschine verlassen hat. Und dann dieses absolut arrogante Wir-haben-es-geschafft-und-sind-ganz-oben-Epos, dessen Melodie einen aufs imaginäre Treppchen hievt.

Puuhh! Ihr merkt schon. Das wird ein längerer Text. Dabei wollte ich doch nur für die Tongrube das Album "Queen II" von 1974 bekritteln. Doch jetzt spüre ich in mir den unwiderstehlichen Drang, die Rehabilitierung einer Band zu betreiben.

Denn es ist nicht state-of-the-art, Queen zu mögen. Daran konnten auch die bekennenden Queen-Kopisten von "The Darkness" noch nichts ändern. Schon gar nicht unter Intellektuellen, die hinter Queen so etwas wie die Verschwörung der kapitalistischen Musikindustrie vermuteten. Irgendjemand bezeichnete Queen gar als erste wahrhaft faschistische Rockband, weil sie sich in den 80ern nach langer Diskussion entschieden hatten, sowohl im damals noch diktatorischen Argentinien als auch in Südafrika zu spielen. Ob das klug war, darüber kann man zweifellos diskutieren. Aber daraus den Faschismus-Strick zu drehen, ist mehr als absurd. Offenbar verstand die Band sich immer als unpolitisch und so war die Entscheidung zumindest nachvollziehbar, wenn auch nicht vertretbar. Das schlechte Gewissen hat immerhin dazu geführt, dass ein Großteil des Geldes, das sie der AIDS-Stiftung zukommen lassen, nach Südafrika fließt.

Dabei fällt es einem so leicht, sie zu mögen. Weil Freddie Mercury (voc, piano), Brian May (git), John Deacon (ba) und Roger Taylor (dr) nicht nur gute Musiker sind oder waren (May hat sogar Gitarren-Lehrbücher geschrieben - auch für die klassische Gitarre), sondern alle vier auch exzellente Songschreiber. In erster Linie Mercury und May, die - bei aller Demokratie in der Band - letzten Endes mit sagenumwobener Stimme, einer selbstgebastelten Gitarre, ungeheurem Harmonieverständnis und legendärer Live-Performance den typischen Queen-Stil prägten. Und auch, weil sie es geschafft haben, sich immer neu zu definieren, keinen Musikstil zwischen Rock, Pop, Jazz, Soul, Funk, Volks-, Kinderlied und Klassik ausließen und doch immer erkennbar blieben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich auch intellektuelle Neider überwinden und über das musikalische Erbe - zumindest den erträglichen Teil - dieser Band hermachen. Und sie werden feststellen, wie ungeheuer komplex dieses Erbe sich darstellt.

Die ersten Blüten dieses Queen-Stils trieben auf "Queen II" aus - etwas zarter auch schon auf dem Debütalbum, das jedoch noch eher als klassischer Hardrock-Kracher mit verhexenden Gitarrensoli dahergekommen war. Brian May selbst bezeichnete "Queen II" mal als sein persönliches Lieblingsalbum.

Die instumentale "Procession" verbreitet gleich zu Beginn das befremdende Queen-Pathos und ginge problemlos auch als Nationalhymne durch. Die Gitarre klingt wie Cello und Violinen, nur niemals wie eine Gitarre. Man lehnt sich zurück im Sessel, atmet tief durch und weiß, dass etwas nicht Alltägliches folgt. Sanft gleitet die Prozession über in eines der melodiösen Meisterwerke von Queen, "Father to son". Ein hart geschlagener Akkord, kurzes Stakkato, und dann? Die erste gesungene Zeile: "A word in your ear from father to son". Wer in seinem Leben hier zum ersten Mal Freddie Mercury gehört hat, ist später nicht mehr davon losgekommen. Diese Stimme ist definitiv eine Droge und gehört auf den Index gemütsverführender Klangwerke.

Zwischenzeitlich rutscht das Stück in eine harte Gitarrensymphonie ab, die immer wieder zu einigen Ur-Riffs des Hardrock zurückkehrt. Und es pfeifen einem die ersten - hier fast noch zurückhaltenden - Queen-Chöre um die Ohren. Sanft dimmt sich dann "White Queen" ein und die Violinengitarre streicht wieder durchs Lüftchen. Mercury flüstert und schallert in einem Spektrum zwischen Null und Hundert und alles kumuliert in einem klassisch anmutenden Pathoserguss.

Wen man das überstanden hat, darf man entspannen: Denn plötzlich taucht mit "Some day one day" ein fluffiger Popsong auf, sanft geträllert von Brian May und zart untermalt mit netten Gitarren. Das Absatteln ist aber nur von kurzer Dauer, weil Drummer Roger Taylor dann sein "Loser in the end" nicht nur mit einem dräuenden Roaar in der Stimme singt, sondern auch gleich den passenden Wumms dazu liefert. Heute wäre das ganz heißer Garagesound. Und hätte es Mercury nicht gegeben: Taylor wäre als Sänger von Queen in die Geschichte eingegangen, mit einem Falsett, der im Gegensatz zu Darkness-Sänger Justin Hawkins nicht nach Entmannung klingt.

Das war Seite 1, bis auf das letzte Stück von May komponiert. Seite 2 stammt komplett von Mercury. Erst mal durchatmen, noch nicht ahnend, was einem jetzt bevorsteht.

"Ogre Battle": Jetzt hat es mit der choralen Zurückhaltung ein Ende. Endgültig. Diese Gesänge quetschen einem das letzte, wirklich das letzte Quäntchen Adrenalin aus der Nebennierenrinde. Der Puls schnellt hoch auf 180. Herzrhythmusstörungen. Atemnot. Dazu ein brachialer Noiserock, der zwischenzeitlich in ein infernalisches Schlachtengewitter umschlägt. Ich betone: Das war 1974 und nicht bei irgendeiner beliebigen Noise-Truppe von heute, die nicht mal ahnt, dass diese Harmonien auf ihren Instrumenten überhaupt existieren. Die Drums rollen wie eine Panzerschlacht über dich hinweg, die Gitarre reißt dir das Fleisch aus dem Leib und der Chor säbelt mit einem Bajonett nochmal hinein, bevor Mercury die Klinge mit seiner Stimme in deiner Wunde herumdreht. Für mich eines der besten Stücke von Queen.

Barock geht es weiter, mit "Fairy Feller's Master-Stroke" und "Nevermore". Verspielt und herzzerreißend gesungen, gleichzeitig gelungene Überleitungen zu "The March of the Black Queen", einer Art Schlüsselstück dieses Albums und der Frühphase der ganzen Band.

"Forget your sing a-longs and your lullabies
Surrender to the singing of the fireflies
Dance to the devil in beat with the band
To hell with all of you hand in hand
But now it's time to be gone
forever"

Eine in sich geschlossene - wie sagte man damals so schön - Rock-Oper mit einem harmonischen Parforce-Ritt, dem man nur mit offenem Mund lauschen kann. Erschlagender Pomp. Barocker Irrsinn. Art-Rock, der verdeutlicht, wie weit Queen damals noch von ihren kommerziellen Auswüchsen entfernt waren. Daraus machen andere heute ein ganzes Album. Ich sah mal eine dieser albernen Coverbands, Mayqueen, die zur Performance dieses Stücks Teile des Kölner Opernchores auf die Bühne holten - und gegen das Original doch immer nur wie ungewaschene Socken klangen.

Als wäre das nicht schon genug, folgt noch ein eher belangloser, nach Weihnachten klingender Popsong, "Funny how love is", und als Abschluss der erste große Hit von Queen - "Seven Seas of Rhye".

"Queen II" nimmt vieles von dem vorweg, was in "A Night at the opera" und "Bohemian Rhapsody" 1975 kulminierte. Das ganze dandyhafte Lebensgefühl jener Tage, die larmoyante Weinerlichkeit der Boheme und pathetische Wucht als Gegenentwurf zum desillusionierenden Ende der Hippie-Ära. Etwas, das heute wieder in Mode zu kommen scheint, aber eben nur noch in Mode.

Queen klangen später nur selten wieder so spielfreudig, burlesk, künstlerisch und barock wie zu dieser Zeit. Etwas zu poppig-kommerziell wurde ihr Spiel spätestens Ende der 70er, als Mercury zu der Überzeugung gelangte, dass er nur "Wegwerfpop" komponieren könne und seine Auftritte immer mehr ironisierte.

Erst mit dem fulminanten Auftritt auf dem Live Aid Konzert 1985, als die Band den Rest der versammelten Rock- und Pop-Elite in 20 Minuten düpierte und die Massen in Verzückung versetzte, fanden sie ein wenig zu ihrem Spiel zurück. Der Auftritt wurde 2005 von Musikjournalisten zum "World's greatest gig" gewählt. Sie selbst empfanden es als einschneidendes Ereignis und eine Art Wiedergeburt der Band. Bis zum Ende.

1991 starb Freddie Mercury an AIDS. Seitdem wird das Erbe der Band zwar kommerziell ausgeschlachtet - auch von ihnen selbst. Aber leider nur selten intelligent interpretiert.