Selters, Sekt uns Südtirol. Ein dissonanter Dreiklang, sollte man meinen. Doch nicht, wenn man einen Aufhänger für eine Plattenrezension sucht.
Im Januar 1981 saß ich mit dem Rest meiner 10. Klasse im Reisebus auf dem Weg nach Südtirol. Bei mir war Marius Müller-Westernhagen, mit Sekt oder Selters auf Cassette gebannt. Im Jahr vorher war diese Platte erschienen und ich bin damit verspätet auf den Marius-Zug aufgesprungen. Müller-Westernhagens Geburt als Rocker mit der Pfefferminz-LP von 1978 hatte ich noch verpasst. Da war ich einfach noch zu klein für diese Musik. Aber ich kannte schließlich Mit 18, das nicht mal bei Pfarrgemeindehausmittwochnachmittagsdiscos fehlte. Zwei Jahre später war ich Einer. Einer der stolzen Besitzer von Sekt oder Selters, dem fünften Album von Marius Müller-Westernhagen. Die Zeitrechnung begann jedoch eigentlich erst mit Pfefferminz. Die ersten drei Longplayer von MMW habe ich mir später der Vollständigkeit halber zugelegt, jeweils versehen mit dem nice-price-Aufkleber.
Vor unserer Klassenskifahrt habe ich also die LP zur Nutzung auf unseren prähistorischen Ghettoblastern und fast ebenso großen Walkmännern auf Band überspielt. Nachdem uns der Busfahrer unfassbar lange mit unfassbar langweiliger Musik malträtiert hatte, wurde ich von meinen Klassenkameraden(-innen) aufgefordert, meine Cassette nach vorne zu geben. Ich schnappte mir meine Maxell XLII 90, ging den Gang nach vorn und fragte höflich unsere Klassenlehrerin, Frau Friese, ob der Herr Busfahrer nicht mal dieses hier einlegen könnte. Frau Friese war Englischlehrerin. Vielleicht meinten wir deshalb, sie habe eine verblüffende Ähnlichkeit mit Queen Elisabeth II. und ihr Auftreten erinnerte an die Menschen im Haus am Eaton Place oder eben vielleicht an Gaby von Fleck. Jedenfalls sah sie mich an, strafend wie immer, mir rutschte das Herz und mehr in die Hose, sie nahm das Band, roch daran...nein, stimmt nicht, Frau Friese reichte es tatsächlich an den Busfahrer weiter, der es mit verächtlichem Blick entgegennahm.
Dann gings los. Lady und Ich bin zum Wetten geboren. Stücke, die einem auch heute, im hohem Alter, noch Adrenalin mit Hochdruck in die Blutbahn treiben. Ein Vorbild auf jeden Fall, dieser Hansel in Lederjacke und seinem Großmaulimage. Alle passte in das konzeptionierte Image, das damals um Marius - wie ihn seine Fans nannten - aufgebaut wurde. Die beiden Filme um Theo den Trucker, die Alben Pfefferminz, Sekt und Stinker prägten bzw. manifestierten das Bild des dünnen Herings, der aber dicke tut, auf die Fresse fällt, aufsteht, und mit schrecklich-lächerlicher Rache droht. Theo und Marius waren zu diesem Zeitpunkt eine Person. Inszenierte, aber ironisierte Vollkommenheit.
Auch auf Sekt oder Selters handeln die Songs von schönen Bräuten und langweiligen Ehefrauen, von Machern und Malochern, von Luden und Nutten, vom Leben des Losers. Gespickt mit Sauereien, perfekt gepaart mit der Musik. Von vorne, von hinten von oben und von unten betrachtet: Just RocknRoll. Natürlich auch mit den entsprechenden Balladen. Ein bisschen Luft holen beim dritten Stück: Mary. Uuuuuuhhhh! Marius machte keine Pause, der Bus rockte. Frau Friese ließ sich alles gefallen: Den Cashmere-Busen, die Schlägerei um zwölf, dann gesoffen bis um drei, die riesigen Schwänze und die roten Haare auch unten, der Fleck vom Sofa geht schon weg. Aber bei Der Junge auf dem weißen Pferd war auch ihr Maß voll. ...du hast die Beine breitgemacht, wenn mir danach war... und Schluss. Die Cassette wurde umgehend gestoppt und konfisziert. Das wars mit Herrn Müller-Westernhagen und mir für die nächsten 10 Tage.
Jetzt sitze ich hier und höre und höre. Meine permanent grinsende Fresse tut gar nicht weh. Natürlich hat die Platte einen Sprung. Wenn ich wollte, könnte ich Marius stundenlang entweder Selters oder Sekt singen lassen. Ich will aber nicht, ich will die Gänsehaut beim letzten Stück. Gute Nacht Hermann.
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