The Notwist und Lali Puna in Ruhrfestspielhaus, Recklinghausen, 31.05.2004

KlickerKlacker-Sounds im Theater - oder ‚Wie Rocker im Sitzen tanzen'

ImageAm Nachmittag waren die Besucher des Pfingst-Festivals in Essen Werden und ich noch von einem Platzregen überrascht und durchnässt worden. Aber von einem ins Wasser gefallenen Open Air Konzert darf man sich die Laune nicht vermiesen lassen.

Als ich also in geliehenen Socken in Recklinghausen eintraf, wurden wenige Zuschauer leicht hektisch, da am Eingang auf einem Aushang zu lesen war, dass die Platzkarten ihre keine Gültigkeit hatten, und freie Platzwahl herrschte. Dadurch aufgeschreckt ließen einige die Türen zum Veranstaltungssaal nicht aus den Augen, um die besten Plätze zu erwischen.

Die anderen Wartenden konnten sich die Zeit bis Konzertanfang an den aufgestellten Kickertischen vertreiben, wo ich zwei auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesene Mädels kennen lernte, die das Konzert leider verpassten, da ihr letzter Bus schon kurz vor Mitternacht losfuhr. In Recklinghausen ist man nachts ohne einen fahrbaren Untersatz nach wie vor aufgeschmissen.

ImageDer Saal war zu zwei Drittel gefüllt, und die ersten drei Reihen waren von den Türbeobachtern besetzt. Ich saß weiter hinten, eine Kickerpartie auf Weltklasse-Niveau lässt sich nicht einfach abbrechen...

Der erste Act war der US-Amerikaner Alias, der sich zuerst für die Politik seiner Regierung entschuldigte, und damit schon den ersten wohlwollenden Applaus auf seiner Seite hatte.

Alias, im HipHop-Outfit, mit tief ins Gesicht gezogener Wollmütze, stand hinter seinen elektronischen Geräten und legte los: Da wurden Schlagzeug-Beats live eingetippt, in Endlosschleife abgespielt, wozu dann auf einem kleinen Keyboard Melodien oder einfach nur Geräusche gemischt wurden. Heraus kam ein recht dichter Soundteppich, groovende Parts und ruhige Passagen wechselten sich ab. Alias wippte kräftig mit dem Oberkörper mit, starrte ansonsten jedoch die halbstündige Show über auf seine Geräte.

Die Marschrichtung des Abends war festgelegt, das Publikum auf's elektronische eingestimmt und an die für ein Theater doch ungewöhnliche Lautstärke gewöhnt.

Der zweite Act des Abends waren Lali Puna, ein Projekt des Notwist-Sängers und Gitarrist Acher, der in dieser Formation am Bass stand, jedoch wohl maßgeblich am Songwriting beteiligt ist, da der Sound doch sehr an Notwist erinnert. Der monoton ruhige Gesang der Sängerin/Keyboarderin wurde noch von einem Schlagzeuger und einem Keyboarder/Laptop-Jockey ergänzt.

ImageFür meinen Geschmack waren Lali Puna etwas zu ruhig, was natürlich auch mit meinem langen Tag und hauptsächlich mit den weichen Theatersesseln zu tun hatte. An Einschlafen war natürlich aufgrund der fehlenden Beinfreiheit nicht zu denken, aber ein kurzes "Wegträumen" bei entspannter Musik sollte von der Band schon eher als Lob denn als Kritik aufgefasst werden.

Mit Entspannung war es dann aber auch bald vorbei, da Lali Puna bei den letzten drei Songs vom zweiten Notwist-Gitarristen unterstützt wurden. Das Tempo der Stücke wurde erhöht, es wurde schon fast gerockt und erst in dieser Besetzung gelang es ihnen beim Publikum etwas mehr Begeisterung auszulösen. Als eigenständige Band konnten Lali Puna nicht überzeugen, dazu war die Ähnlichkeit zu Notwist zu gravierend, zumal das Publikum zwar schon auf den Notwist-Sound wartete, aber doch eben von Hauptact, und nicht von der Vorband.

Nach kurzer Umbaupause bestiegen The Notwist die Bühne. Die Acher-Brüder lieferten Bass und Gitarre/Gesang, Markus Kretschmer (Console) steuerte die Elektronik bei, und ein Trommler und der zweite Gitarrist rundeten das Bild der Band ab. Der Sound war hervorragend, es konnte natürlich jeder gut sehen, und fast das gesamte letzte Album ‚Neon Golden' wurde gespielt: ‚Pick Up The Phone', ‚Trashing Days'; ‚This Room', ‚Consequence'.

ImageNur gab es ein Problem: Die eingängigen Songs gingen nicht nur zu Herzen, sie gingen auch in die Beine. Nur hatten die leider keinen Platz, und so war jeder im Publikum bemüht, irgendwie eine Balance zwischen Sitzen und gleichzeitig Tanzen zu finden. Mitwippende Beine waren schon sehr zurückhaltend. Genau vor mir wurde der Kopf zur Musik geschüttelt, und eine Frau konnte sich nicht mehr auf dem Platz halten, stand auf, und tanzte. Das gab's im Theater wohl auch noch nicht.

Das bei Notwist der digitale Sound gleichberechtigt neben den traditionellen Instrumenten steht, ist seit den letzten zwei Longplayern der Band klar. Das Teile des Sounds aber auch von einem Plattenspieler kommen, war mir neu. Und natürlich wurden die Platten nicht einfach nur abgespielt. Als sich die Band in einer kurzen ‚Noise-Orgie' austobte, liefen sie auch rückwärts, zerstückelt, verfremdet ab. Gitarren-Feedback produzieren kann jeder, was Notwist an Klangquellen zweckentfremdet und innovativ einsetzt, sucht noch nach seines gleichen. Nach dem Konzert hörte man nur begeisterte Stimmen, obwohl zwei ‚Perlen des elektronischen Indie-Rocks' fehlten: ‚Day 7' und ‚Chemicals' vom Vorgänger-Album ‚Shrink' wurden leider nicht gespielt.

ImageNichts desto weniger war es eine schöne Atmosphäre an diesem Abend, das Ambiente im Theater hatte etwas sehr Exklusives, und wer nicht dabei war, hat auf alle Fälle etwas verpasst, nur:

Das nächste Mal muss wieder richtig gerockt und getanzt werden!!!

Dieser Artikel ist eine freundliche Leihgabe von
www.ruhr-guide.de, dem Online Magazin für das Ruhrgebiet. Danke!


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Notwist
Lali Puna
Alias
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Bilder: MatsB