Von Kettcar habe ich eine neue Vokabel gelernt: Befindlichkeitsfixiert. Schön, oder? Was das bedeutet? Wer weiß. Vielleicht im Taxi zu weinen oder zu leben und zu sterben wie ein Toastbrot im Regen oder zu wissen, was anders wird, wohin es führt, wie viel es bedeutet, was hier passiert. Musik hören eben. Leben eben. Wieviel? So viel, wie geht. Du und ich und wieviel von deiner Befindlichlichkeit. Wurde aber auch Zeit, dass Kettcar sich mal wieder der Unruhrzone nähern. Am 21.08. spielen sie beim Rothaarfestival und am 17.09. in Bielefeld im Kamp. Dann geht es endlich ins Studio. Grund genug also, um Reimer Bustorff ein paar Fragen zu stellen.
UnRuhr:
Ihr habt euch in Deutschlands Clubs in der letzten Zeit etwas rarer gemacht. Jetzt spielt ihr noch ein paar Konzerte, bevor ihr endlich ins Studio geht. Viele sehen in der Krise der Tonträgerindustrie ja auch die Renaissance der Live-Auftritte. Wie wichtig sind euch die Konzerte? Wichtiger als ein neues Album?
Reimer:
Die Konzerte sind uns immens wichtig, da hier die engste Bindung zu unseren Hören entsteht und die Resonanz auf einzelne Lieder spürbar wird. Natürlich ist es uns auch wichtig Alben aufzunehmen, die im Gegensatz zu den Konzerten ja was für die Ewigkeit sind. Man kann da keine Favoriten festmachen, Konzerte und Studioproduktion sind das, was es so großartig macht, in einer Band zu spielen. Die so genannte Krise der Tonträgerindustrie hat darauf keinerlei Einflüsse.
UnRuhr:
Neulich sprach ich mit den Gründern eines kleinen neuen Labels in Dortmund (Unbroken Records). Die glauben, dass ein wesentlicher Vorteil der aktiven Szene in Hamburg sei, dass die Bands dort viel mehr Auftrittsmöglichkeiten hätten, um besser zu werden und Erfahrungen zu sammeln. Ist das das ganze Geheimnis für die vielen guten hanseatischen Bands?
Reimer:
Ich glaube, dass dieser Gedanke zu einfach ist. Hamburg ist kein Schlaraffenland für Musiker. Wir haben hier eine Proberaum Situation, die einen wahnsinnig werden lässt. Sprich viel zu wenig Räume zu horrenden Mietpreisen. Wir teilen uns unseren Raum beispielsweise mit drei weiteren Bands, was immer einer gewissen Koordination bedarf, die im Grunde ausschließt zu sagen, komm wir checken dies oder jenes mal eben im Proberaum aus. Auftrittsmöglichkeiten sind wahrscheinlich wirklich mehr geboten, aber wer geht schon an einem Mittwoch zu einem Konzert einer kleinen, unbekannten Band, wenn er Dienstags bei den Strokes war und für Donnerstag Karten für das Flaming Lips Konzert hat? Tatsächlich ist das Publikum in Hamburg spürbar satt.
Ich glaube, es liegt zum einen an der Einwohnerzahl Hamburgs. Berlin bringt ja auch sehr viele Bands hervor. Zum anderen hat sich in Hamburg ja bereits in den 80er Jahren eine Szene hervorgetan, die natürlich viele beeinflusst hat - uns natürlich nicht ausgenommen.
UnRuhr:
Wir haben in unserer Redaktion zuletzt des Öfteren mal darüber diskutiert, dass viele Leute nur noch zu Konzerten gehen, um irgendwie hip zu sein. Viele quatschen auch während des Konzertes ohne Unterlass und hören teilweise gar nicht zu. Gewissermaßen so, als würden sie zuhause RTL glotzen. Teilnahmslos. Wie seht ihr euer Publikum? Ist es ein besonderes? Seid ihr manchmal überrascht, wer da so rumsteht und wie sie sich verhalten?
Reimer:
Meistens bekommen wir so ein flegelhaftes Benehmen nicht mit. Was wir wahrnehmen, sind die ersten Reihen, und da sind die Leute eigentlich immer sehr in der Musik. Das überrascht dann oft schon, wenn man sieht, dass die Lieder bei den Leuten was auslösen. Natürlich sind ab und zu auch mal welche dabei, die zu "Wäre er echt" stagediven, aber das ist etwas, das wird es immer geben. Weil Konzerterlebnisse halt unterschiedlich definiert werden. Bestimmt haben wir aber trotzdem ein ganz besonderes Publikum - zumindest gutaussehend, intelligent und ehrlich.
UnRuhr:
Ich hab euch zuletzt vor über einem Jahr in Bochum im Zwischenfall gesehen. Wie hat sich euer Set seitdem entwickelt? Sind viele neue Stücke hinzugekommen? Habt ihr ein festes Set oder passt ihr euch auch dem Publikum und der Stimmung an?
Reimer:
Wir spielen mittlerweile schon neue Stücke live, auch um auszuprobieren, wie sie beim Publikum ankommen. Eigentlich machen wir vor jedem Auftritt eine feste Playlist, die abhängig ist von der länge des Auftritts und jederzeit auf der Bühne geändert werden kann.
UnRuhr:
Am meisten interessiert natürlich euer geplantes Album. "Du und wieviel von deinen Freunden" war ja recht "befindlichkeitsfixiert". Das hat dem Ganzen eine ungeheure Tiefe gegeben, die viele an eurer Musik schätzen. Was haben wir vom neuen Album zu erwarten? Zeichnet sich schon eine "Grundstimmung" ab?
Reimer:
Bis jetzt kristallisiert sich noch keine Grundstimmung heraus. Es ist bislang sehr gemischt und textlich auch noch nicht alles fertig. Ich denke, dass wir an das erste Album anknüpfen werden. Kann aber wirklich noch nicht so viel sagen - das ist jetzt auch keine Geheimniskrämerei, ich weiß echt noch nicht, wo das ganze hingeht.
UnRuhr:
Wodurch habt ihr euch diesmal inspirieren lassen? Könnt ihr schon eine "Themenvorschau" geben? Viele Bands fahren ja zurzeit die "politische Schiene". Sind das auch für euch mögliche Themen?
Reimer:
Inspiration ist eigentlich immer das eigene Leben, der eigene Alltag, was eine gewisse Sichtweise auf gesellschaftspolitische Punkte einschließt. Dementsprechend sind politische Themen auch nicht ausgeschlossen. Ich würde auch nicht sagen, dass wir irgendwelche "Schienen" fahren - hast du ja auch in Anführungsstriche gesetzt -, sondern immer das zum Ausdruck gebracht wird, was einen gerade beschäftigt.
UnRuhr:
Geht ihr mit fertigen Songs ins Studio oder entsteht dort auch Neues, Unvorhergesehenes und Überraschendes?
Reimer:
Das ist ganz unterschiedlich. Einige Lieder sind schon recht weit entwickelt, so dass nicht mehr viel überraschendes passieren muss. Andere hingegen stehen erst als Gerüst und es wird noch viel dran gearbeitet. Das ist auch stark abhängig von den spontanen Einfällen. Die Flexibilität nehmen wir auf jeden Fall mit in Studio, so dass schon ein Prozeß zwischen diskutieren, ausprobieren und verwerfen entsteht.
UnRuhr:
Wie ist das, wenn ihr im Studio seid? Geht man da morgens hin wie zur Arbeit? Verändert sich euer Tagesablauf durch die Studioarbeit? Geht ihr euch irgendwann auf die Nerven?
Reimer:
Im Grunde ist es wirklich, als würde man zur Arbeit gehen. Die Zeiten sind nur flexibler. D.h., dass nicht alle neben mir sitzen, wenn ich den Bass einspiele. Dann bin ich halt alleine mit Swen Meyer (unser Produzent) im Studio. Insofern geht man sich auch nicht auf die Nerven, da wir nicht 24 Std. am Tag in einem Raum sitzen. Der Tagesablauf ändert sich dadurch, dass man immer abrufbereit sein und alles stehen und liegen lassen muss, wenn man im Studio gebraucht wird.
UnRuhr:
Wisst ihr schon, wann das Album fertig sein wird?
Reimer:
Der geplante Veröffentlichungstermin ist der 07.03.05
UnRuhr:
Danke für das Interview!
Reimer:
Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg weiterhin mit eurem Online-Magazin.
Links:
Kettcar
Grand Hotel Van Cleef (Label)
Rothaarfestival
Kamp/Bielefeld
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Bilder: Pressefreigaben