Jedenfalls habe ich um diese Zeit keine Mühe, einen Platz an der Theke zu finden. Um genau zu sein, es sind noch alle Plätze frei. Ein Pils, bitte. Aber es tut sich was. Langsam, wirklich langsam, kommen weitere Gäste. Stammgäste. Das wird ostentativ deutlich gemacht. Umarmungen, Küsschen, Fachsimpeleien mit dem Chef vor der Speisekartentafel. Träge Musik kuschelt aus den Lautsprechern. Die Kneipgänger passen sich an und sehen so aus, als wären sie von gestern Abend übrig geblieben. Selbst die Bedienung ist noch nicht auf Betriebstemperatur und serviert das Bier in schlafwandlerischer Gemächlichkeit. Dafür ist es 1a-gezapft, die Gnade des frühen Kneipengangs.
Über den Schaum meines Bieres hinweg, erkenne ich am anderen Ende der Theke den untersetzten Langzeitstudenten mit schütterem Haar und Nebenjob in einer Werbeagentur. Er nippt am Alt, liest den Flyer eines Musikfestivals und schüttelt dabei wiederholt den Kopf. Alle erkennen, aha, ein Musikexperte. Der davon träumt, das ihm eine Frau auf die Schulter tippt und sagt: Komm, lass uns das Programm gemeinsam scheiße finden.
Gegenüber hat sich inzwischen der Frauenversteher eingefunden. In einem dieser Flohmarkt-Herrenjackets aus Tweed, die aussehen, wie der Aufnehmer meiner Oma, mit dem sie das Gulaschmalheur bereinigt hat und einer Frisur, die wahrscheinlich Trendy-Huberty heißt. Er bestellt einen Weißwein.
Unterdessen hat sich neben mir der in die Jahre gekommene Jungdesigner mit mädchenhafter Freundin am Kupferblech platziert. Er trägt das knallrote Hemd zur Jeansjacke, natürlich aus der Hose, und das ergraute Haar gepflegt lang. Die Beiden werden sicher in zwanzig Jahren die Nachfolger von Rudi und Susi in den Werbespots fürs Schalke Pils.
Ich kann nicht anders, hole meinen Block heraus, lege ihn auf die Theke und schreibe diesen Text. Dem Typen gegenüber steht ins Gesicht geschrieben: Das giiibts doch nicht. Im Augenwinkel erkenne ich, wie er seinen Block rauskramt.
Foto: Bernd Lubienetzki