Am Tresen

Abgestandene ZoscheMein Vater stand immer am Tresen. Trank Pils nullzwei und steckte gelegentlich einen Groschen in den Spielautomaten. Auf Zehenspitzen stehend durfte ich die Stopptaste drücken, wann ich wollte. Wenn ich nicht gerade mit baumelnden Beinen neben meinem Vater saß und Malzbier schlürfte.

Später, ohne meinen Vater in der Kneipe, hing ich mit Freunden in schummerigen Ecken, auf Sofas vom Sperrmüll, Sitzsäcken und Holzbänken. Stand gelehnt an Pfeiler oder Stehtischen, bemüht lässig, mit Flaschenbier in der Hand. Nur nicht am Tresen. Dort lungerten und labberten die Alkis. Ein uninteressanter, zumeist fraufreier Raum.

Die Zeiten sind vorbei. Inzwischen zieht es mich in jeder Kneipe unwiderstehlich an die Stätte meiner Sozialisation. An die Bar, sagt man heute. Das hat weniger mit Vergangenheitsbewältigung zu tun, als mit der profanen Erkenntnis, dass nur dort der Hauch einer Chance besteht, ein ordentlich gezapftes Pils zu bekommen. Ein Pils, das nicht wie ein Glas Apfelschorle aussieht. Ein Pils, in dem die freundliche Bedienung nicht noch kurz mit dem Löffel für die Andeutung von Schaum sorgen muss.

Überdies lockt freilich noch eine Darbietung besonderer Art: Die öffentliche und im Getränkepreis enthaltene Zurschaustellung der Fähigkeiten des Barkeepers. Meist schlank, aber muskulös, leichte Segelbräune, gepflegtes und gegeltes Nicht-zu-lang-Haar, mit einem auf dem Reißbrett entworfenen Bärtchen steht er da, lässt Flaschen fliegen und Gläser tanzen. Eis crusht aus Ehrfurcht, wenn er Flaschen vom Regal reißt, und mit äußerst elegantem Schwung Flüssigkeiten auf den Nanoliter exakt in die Gläser stürzen lässt (ein Schuss Whisky, aha!). Die knöchellange Schürze verstärkt nur den Eindruck, es mixt der Fels in der Brandung der Spirituosen. Früchte werden unter der unbarmherzigen Klinge seines Messers in mörderischem Tempo zerhäckselt und bilden als geschnitzte Eyecatcher die apart-dekorative Krönung der Kreationen aus Saft und Schnaps. Gerade befördert er ein Behältnis blitzschnell und in hohem Bogen aus dem Kühlschrank, fängt es kopfüber hinter dem Rücken auf, wodurch er das schmucklose Schütteln einfallsreich ersetzt. Er zaubert Schlieren von Kirschsaft in Graninis Banane und schmachtende Schleier in die Augen der Damen, deren Blicke langsam die Cocktailkarte hinabsinken und erzitternd bei Sex on the beach innehalten.

Auch ich nippe bewundernd an meinem Bier. Nun...jetzt möchten Sie sicher auch einen Cocktail, oder?, fragt er mich und zieht die rechte Augenbraue herablassend hoch. Verstört schüttele ich den Kopf, trinke hastig aus, lege Geld auf den Tresen und wünsche mir, mein Vater stünde neben mir und ich hätte nichts anderes zu tun, als die Stopptaste zu drücken.

Foto: Tanja Degener