Reggae auf Radbod. Zum 7. Mal fand auf dem ehemaligen Hammer Zechengelände die Reggae Summer Night statt.
Und alle waren sie gekommen, insgesamt 3.000 Besucher. Darunter die deutschen Altrastas mit ihrem dünnen, inzwischen ergrauten, aber natürlich verfilztem Haupthaar, Frau Strickpulli-Birkenstöckler mit den renitenten Kleinen und ihrem neuen Freund, dem Biobäcker, ebenso wie die Nil rauchenden Hornbrillenträger und die Reggae Veteranen, deren antiquarisches Bob-Marley-Shirt in XXL sich inzwischen derart über der Bierpocke spannt, dass einem Bobs Gesicht als absonderliche Fratze entgegen stiert. Nicht zu vergessen die jungen Reggaelover, vertreten durch schissbuchsige Skater.
Das kulinarische Angebot wurde sinnigerweise dem breit gefächerten Besucherspektrum angepasst. Von Ackee’n’saltfish bis Bauchfleisch im Brötchen, von Becks bis Cuba libre. Diese Alkoholika in Verbindung mit den kreisenden Sportzigaretten haben den ein oder anderen doch stark überfordert. Die Fortbewegung auf dem an Woodstock erinnernden Untergrund wurde so zum Kati-Witt-Gedächtnislaufen. Man tat gut daran, sich vor dem doppelten Kiffberger in Acht zu nehmen.
Das Aufwärmen übernahmen die Deutschen. Dr. Ring Ding, Vitamin X und Jamaica Papa Curvin vertrieben den Massen am Nachmittag die Zeit bis es endlich zum im Vorfeld vieldiskutierten Auftritt von Buju Banton kam. Vor den Toren formierte sich ein Häufchen Demonstranten hinter einem Bündnis-90-Banner, schwenkten Regenbogenfahnen und trillerpfiffen sich die Lunge aus dem Leib. Buju Banton betrat die Bühne, es begann zu regnen. Ein Fingerzeig des Himmels für den bösen Schwulendisser oder einfach eine meterologische Laune? Kurz nach Beginn war der Strom weg. Banton musste für wenige Minuten unterbrechen. Ein Werk der Demonstranten? Christoph Tewes, der Veranstalter, klärte später auf, dass der Regen Schuld hatte. Unter der Bühne lagen Kabel im Wasser, wodurch der FI-Schalter auch später immer wieder rausflog.
Buju tat gut daran, kein weiteres Öl ins Feuer zu gießen. Die Ansagen zwischen den Stücken beschränkte er auf ein Minimum und Allgemeinplätze. So stand ein glasklarer Roots-Set im Mittelpunkt, der auch musikalisch untermauerte, dass der 31-jährige sich von seiner Dancehall-Vergangenheit mit harschen, kruden Inhalten entfernt hat. Roots music, conscious lyrics, ein Ausflug in die jamaikanische Musikhistorie mit einem Ska-Intermezzo und ein Cover von Peter Toshs Mama Africa machten Bantons Auftritt zu einer runden Sache, die Appetit auf mehr machte. Das Bündnis 90 aber konnte nun erhobenen Hauptes nach Hause und die Füße mit einem Feierabendpils vorm Fernseher hochlegen.
Auf der Nebenbühne im Kulturzentrum Radbod spielte inzwischen die Rotterdam Ska Jazz Foundation.Der Bandname ist zugegebenermaßen etwas schwer zu handhaben - auch RSJFoundation ist wenig besser -, aber natürlich Programm. Die acht Niederländer (dr, b, git, kb, tenorsax, altosax, tr, trb) erwiesen sich als coole Clubband, die das Publikum mit treibendem Ska und Rocksteady (der Jazz versteckte sich ein wenig) mehr als überzeugten, weil sie selber viel Spaß an ihrer Musik hatten. Wie in Wimbledon wurde hier auf Gras gespielt. Allen voran Trompeter Marijn Quist, der bereits extrem gutgelaunt auf die Bühne kam. Da ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass dabei Drogen jedweder Art im Spiel waren, nehme ich an, dass er vor dem Gig 10 Liter Red Bull inhaliert hat. Während des Auftritts unterstrich Quist seine sittliche Verpflichtung gegenüber dem Publikum, indem er den Zuschauern das Bier wegsoff und der beim Tanzen störenden Tüten entledigte, um sie selbst zu rauchen. Saxophonist Frank van der Velden sah ebenfalls nach dem Rechten und begab sich ins Publikum, was er beinahe mit seinen Schneidezähnen bezahlte, als ihm Tänzer unbeabsichtigt das Mundstück seines Saxophons in Richtung Kehlkopf rammten. Hört sich nach einer richtig guten Party an, oder?
Das dampfende, schwitzende Publikum drängte sich zur Abkühlung wieder an die Freiluftbühne. Hier waren Linton Kwesi Johnson und die Dennis Bovell Dub Band bei der Arbeit. Der politische Aktivist aus England und mutmaßliche Erfinder der Dub Poetry, rezitierte seine Patois-Gedichte gewohnt sparsam, wie ein Pastor im Mallorcaurlaub. Die hervorragende Begleitband verzichtet leider seit längerem auf eine komplette Bläsersektion. Darunter leiden Stücke wie Reggae fi Peach doch gewaltig. An den Keyboards der Dennis Bovell Dub Band klimpert übrigens Nick Straker, den junggebliebenen Popfans sicher noch durch Walk in the park von 1979 im Gedächtnis. Der gebürtige Jamaikaner Johnson hat mit der Rasta-Esoterik seiner Landsleute rein gar nichts am Hut. Stattdessen hört man Texte über die Verkürzung der Arbeitszeit, um Vollbeschäftigung zu erreichen. LKJ wird bei der Kiffen-und-Kegeln-Atmosphäre solcher Reggaefestivals immer der Außenseiter bleiben. Reggae mit Querflöte, Geige und intellektuellen Inhalten begeistert die Massen nur selten, obwohl er Meisterwerke des Reggae im Gepäck hat, wie Forces of victory, Sonny’s lettah und Fite dem back. Das Publikum in Hamm entließ Linton Kwesi Johnson unverdientermaßen ohne Zugabe.
Derweil nutzte Frank van der Velden von der Rotterdam Ska Jazz Foundation die Umbaupause, um die Fotografin von Unruhr anzugraben. Seine Qualitäten jenseits des Saxophonspielens schienen jedoch begrenzt. Der Nachthimmel war inzwischen klar. Diejenigen, die noch dazu in der Lage waren, merkten, dass es schweinekalt war als Culture gegen 23.30 die große Bühne betraten. Joseph Hill und seine Mitstreiter gehören zu den immer rarer werden Überresten aus der Ära Marley und Tosh. Culture hatten ihre große Zeit Ende der 1970er Jahre mit Alben wie Two sevens clash und International herb. Nun ist das Feiern alter Heroen oft ein sicheres Zeichen des Abgesangs auf eine Musikrichtung. Im Reggae ist das - wie so oft - anders. Die Musik ist extrem innovativ und hat zudem noch Veteranen wie Culture, die es einfach drauf haben. In Hamm starteten sie mit See dem a come. Scorcher!! Es folgte Kracher auf Kracher: Iron sharpening iron, Tell me where you get it, International herb, Two sevens clash, I’m not ashamed um nur einige zu nennen. Joseph Hill zeigte wahrlich brillante Bühnenpräsenz, die Band spielte immer wieder hervorragende dubwise-parts. Culture rissen auch die Müdesten und Dichtesten mit. Ein Mördergig! Wenn da nicht die permanenten Stromausfälle gewesen wären, die zwar prompt wieder behoben wurden, den Auftritt aber in kleine Teile zerlegten. Trotzdem ein fraglos würdiger Abschluss dieser Hammer Nacht.
Der Veranstalter zeigte sich ebenso zufrieden mit den Besucherzahlen. Zwar hätte er gerne auch 1.000 weitere Zuschauer begrüßt, das Wetter lud jedoch nicht dazu ein. Und nach Aussage von Christoph Tewes konnte er den ein oder anderen Zuschauer begrüßen, der sich wegen des Hickhacks um Buju Banton eingefunden hat. Seine durch die Proteste verursachten Probleme hielten sich also in sehr überschaubaren Grenzen. Der 8. Reggae Summer Night 2005 steht nichts im Wege.
Fotos: Katja Helten