Die Ruhrfestspiele in Recklinghausen warten in diesem Jahr mit einem bemerkenswerten Musikprogramm auf. So spielen im Laufe des Mai nicht nur 2raumwohnung, Adam Green und The Notwist, auch das traditionelle Volksfest zur Eröffnung am 1.Mai barg bereits einige Juwelen im überbordenden Programm. Eine davon war Bernd Begemann, der bereits um13.30 Uhr ran musste, und zwar unglücklicherweise nicht auf der eigentlichen Musikbühne, sondern direkt am Anschluss an die Maikundgebung der Gewerkschaften. Da war die Laune natürlich erst mal im Keller.
Zwar hatten sich schon während der letzten Reden einige Hornbrillen- und Trainingsjackenträger im Dunstkreis der Bühne eingefunden, doch der rasende Mob der gut versorgten Gewerkschaftsfamilienväter und -mütter machte den meisten Angst. Also gingen sie lieber erst Mal dönern.
Als Bernd Begemann im Pastellanzug die Bühne betrat, war die Wiese nur noch halb gefüllt, weil jetzt die Arbeiterbewegung geschlossen an den Bierständen protestierte. Doch gleich zu Beginn verstand es der Entertainer durch das geschickte Platzieren der Begriffe "Solidarität" und "Tradition" in seinen Anmoderationen, die Reflexe der Arbeiterbewegung zu aktivieren und selbst einige der zerknirschtesten Modernitätsverzweifler an die Bühne zurückzulocken. Mutig: Gleich als zweites Lied traute er sich, "Schluss mit dem Quatsch" zu singen.
Doch alle blieben. Kein Wunder, denn Begemann war musikalisch, körperlich wie auch plaudertechnisch in guter Form: "Solidarität, damit hab ich immer so meine Schwierigkeiten. Ich habe mal in einer Sozialwohnung gelebt. Im Haus haben sich alle gehasst. - An mir lag es nicht." Wer Bernd Begemann nicht kennt, muss lernen, dass er beim Nachsprechen dieser Sätze die Lippen ein wenig zu schürzen hat - fast schmollmundartig, ein bisschen wie ein kleines trotteliges Kind, das trotzdem immer instinktiv weiß, was gerade abgeht.
Seine sinnenfrohgrüblerischen Lieder taten das ihre, um die langsam anwachsende Menge zu verzaubern. Darunter Traditionelles wie "Fernsehen mit deiner Schwester" und auch Neues wie "Nichts erreicht außer dir". Dieser Mann fasziniert einfach: Egal, ob er melancholische Sommergefühle aus seiner Gitarre hervorstreichelt, wie ein plumper Bär über die Bühne poltert, versonnen in die Ferne singt oder Autogrammkarten in die Menge schmeißt. "Auf dieser Karte stehe ich mit meiner Gitarre und Anzug im Wald, was definitiv vollkommen absurd ist."
Als schließlich die Wiese ganz solidarisch "Kelly-Family-Feeling" sang, war die schlechte Laune der Gewerkschaftsvertreter endgültig vergessen und für die meisten der Tag gerettet. Da er auch nicht müde wurde, die vordersten Reihen nach Liedwünschen zu fragen, kam es noch zu einem denkwürdigen Duett. Ein unbekannter, definitiv nicht gewerkschaftlich organisierter und bier- oder sonstwasseliger Zuhörer hatte sich "Country Roads" gewünscht. Begemann setzte ihn schließlich solange unter Druck, bis er selbst die Bühne betreten musste, um den Star stimmlich zu begleiten. Selten sah und hörte man eine derartig dadaistisch-skurrile Melange aus drogenbedingtem Assoziationsvermögen und begemannschem Klangfatalismus. Ein magischer Moment.
Wer ähnliche Momente erleben möchte, sollte sich Bernd Begemann mit seiner neuen Band "Die Befreiung" auf der kommenden Tournee zum neuen Album ansehen und -hören. Allein schon aus Solidarität.
Links:
www.berndbegemann.de
www.ruhrfestspiele.de