Apoptygma Berzerk: Gespräch mit dem meistgehassten Mann der Elektroszene

ImageIhr aktuelles Album „Rocket Science" steht seit einem Monat in den Läden und zog eine ausgedehnte Deutschland-Tour mit kurzen Abstechern nach Holland, Österreich und in die Schweiz nach sich, die am letzten Wochenende ihren Abschluss fand. Die mittlerweile in die Jahre gekommene norwegische Future-Pop-Formation Apoptygma Berzerk hat trotz der fast zwei Jahrzehnte auf dem musikalischen Buckel noch keine Patina angesetzt und rockt die Venues wie eh und je.

Ich habe mit Mastermind Stephan Groth eine interessante Unterhaltung über das Arbeitszeitmodell im Musikbiz, Kindermord und eine satanische Weltraummission geführt.

Dieses Jahr feiert ihr euer 20-jähriges Jubiläum, oder?
Nicht wirklich. Ich weiß, das stand in irgendeiner Pressemitteilung (und auch auf diversen Wikipedia-Seiten, Anm. d. Red.), aber es stimmt nicht. Das erste Album haben wir 1991 veröffentlicht. Vorher hab ich zwar auch schon Musik gemacht, aber die Band, wie sie heute besteht, gibt es seit `91. Das ist aber trotzdem eine lange Zeit.

Wie fühlt man sich, wenn man so lange schon im Musikbusiness unterwegs ist?
Großartig! Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt. Ich kann Kunst machen. Das ist mein Hobby und gleichzeitig mein Beruf. Ich reise in der Welt herum und tue genau das, was ich tun will. Und dafür werde ich auch noch bezahlt. Das ist fantastisch.

ImageWas würdest du einer Band, die gerade anfängt, raten, was sollte sie tun, damit sie eine Chance hat, im Business zu bestehen? Ich weiß nicht. Ich bin nur froh, dass wir nicht in der heutigen Zeit anfangen. Wobei: Eigentlich hat man es auch ziemlich leicht, wenn man Musik oder irgendeine andere Art von Kunst produziert, denn es gibt das Internet, und dadurch wird es viel einfacher, sein Zeug zu vermarkten.

Thank god for Myspace.
Ja, Myspace ist unglaublich! Wir mussten damals noch Kassetten verschicken. Weil wir pleite waren, konnten wir manchmal nur fünf Kassetten in einer Woche rausschicken. Heute kannst du deinen Song einfach bei Myspace oder hundert anderen Seiten hochladen. Du gehst ins Studio, nimmst einen Song auf, und eine Stunde später ist er online, und die ganze Welt kann ihn hören. Das ist großartig! Aber jetzt kommen wir zum Problem: Woher bekommt man das Geld? Man braucht Geld, um sich Instrumente zu kaufen oder Benzin zu bezahlen, damit man zu den Auftritten kommt. Man braucht ein gewisses Einkommen. In einer Zeit, in der die Plattenfirmen den Bach runter gehen, gibt es das nicht mehr. Man kann auf Myspace so oft angeklickt werden wie man will, doch dadurch verdient man letztendlich nichts. Man braucht also einen Sponsor. Früher waren das die Plattenfirmen. Klar wollten die Geld mit dir machen, aber sie haben dir gleichzeitig auch Geld gebracht, mit dem du deine Gitarren und alles andere bezahlen konntest. Heute bekommst du erst gar keinen Plattenvertrag und wenn, dann einen beschissenen. Ich bin froh, dass wir als Band nicht heute anfangen. Auf der andern Seite kann man es trotzdem schaffen, wenn man es wirklich will. Daher mein Rat an junge Bands: Wenn ihr Angst davor habt zu arbeiten, denkt nicht mal dran, Musik machen zu wollen. Ich habe angefangen Musik zu machen, weil ich faul war. Ich wollte keinen normalen 9to5-Job.

Idealismus spielte keine Rolle?
In gewisser Weise hat Idealismus schon eine Rolle gespielt, denn ich mochte Kunst und besonders Musik und wollte keinen normalen Job, der mir nicht genug Zeit gelassen hätte, das zu tun, was ich tun wollte und für den ich früh hätte aufstehen müssen. Ich wollte lieber pleite sein, dafür aber genug Zeit dafür haben, zu tun, was ich wollte. Über die Jahre stellte sich aber heraus, dass ich viel mehr arbeite, als meine Freunde, denn mein Job dauert 24 Stunden. Als wir das aktuelle Album „Rocket Science" aufgenommen haben, habe ich jeden dritten Tag nicht geschlafen. Außerdem ist der mentale Druck, mit dem man klarkommen muss, immens groß. Es gibt Konkurrenz mit anderen Bands, man versucht, die Erwartungen vieler verschiedener Menschen zu erfüllen, ist ständig in den Medien und hat Angst davor, einmal den falschen Schritt zu machen. Jetzt, wo ich schon ein wenig älter bin, ist mir das alles egal. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn du etwas tust, bei dem du mit dem Herzen dabei bist, es immer funktioniert. Wenn man anfängt, etwas zu tun, weil man andere zufrieden stellen will, dann läuft es schief. Menschen merken, wenn etwas nicht echt ist.

ImageDiese Einstellung zeigt sich auch in eurer musikalischen Entwicklung, in der ihr auch nicht immer euer Stammpublikum bedient habt. Über die letzten Jahre seid ihr vom Elektronischen mehr ins Rockige übergegangen, Gitarren spielen jetzt eine größere Rolle.
Ja, aber live hatten wir schon immer Gitarren dabei. Live waren wir also schon immer wie eine Rockband. Die Alben waren immer 100% Elektro. Nach einer Weile fiel mir auf, dass das, was wir live taten, viel mehr Spaß machte, als das, was im Studio passierte. Also entschieden wir, dass wir mehr von dem Live-Gefühl in die Musik übernehmen wollten. Und dann fing es wirklich an, interessant zu werden. So kam es, dass ich zum meistgehassten Menschen in der Elektroszene wurde.

Genau darauf wollte ich dich auch ansprechen, denn jemand meinte neulich, du hättest die Dark-Elektro- und EBM-Szene versaut.
(lacht) Jaja, ich hab sie versaut. Aber sie vergessen immer zu erwähnen, dass ich sie miterschaffen habe.

Du hast also dein Baby getötet.
Genau. Kill your darlings.

Wie genau war das denn damals, wie hat sich EBM entwickelt?
Es hat eigentlich alles in Düsseldorf angefangen, mit Kraftwerk. Der Hip-Hop wiederum hatte seinen Anfang in der Bronx, durch Kids, die Kraftwerk-Musik machen wollten, und die damit total gescheitert sind. Aber so haben sie etwas total Neues erschaffen. Wenn man versucht, etwas zu kopieren, dann beinhaltet das Ergebnis immer auch etwas Eigenes. So fing es auch bei mir an. Ich wollte Musik machen wie Depeche Mode oder Front 242. Ich hab's nie hinbekommen, aber etwas Neues erschaffen. Einige andere Bands und ich fingen an Elemente aus dem House, Techno und Trance in die EBM einfließen zu lassen. So kommerzialisierten wir es und brachten es einem Massenpublikum näher. Das war das politisch Unkorrekteste, was man nur tun konnte. Dafür wurde ich extrem gehasst. Da ich meine Wurzeln auch im Alternative Rock und Britpop der 1990er habe, bringe ich nun diese Elemente in die Elektro-Goth-Szene. Und jetzt hassen sie mich wieder. Aber mir ist es lieber, jeden Tag gehasst, als überhaupt nicht beachtet zu werden.

ImageWas sich an eurer Musik auch noch geändert hat, sind die Texte. Du hast gesagt, dass du dir ein Jahr Zeit genommen hast, um die Texte zu schreiben. Das Ergebnis ist, dass sie viel kritischer und politischer sind, als sie es je waren.
Die Texte waren mir vorher nie so wichtig, denn, wenn man eine Verbindung mit Menschen in Südamerika, Deutschland oder Polen aufbauen will, die nicht alle Englisch verstehen, dann kann man sich nicht durch die Texte einschränken lassen. Ich kann nur auf Englisch schreiben. In gar keinem Fall auf Norwegisch.

Warum das? Du wohnst doch in Norwegen.
Ich bin in Dänemark aufgewachsen, deswegen ist die Sprache, die ich in meinem Herzen trage und in der ich denke, Dänisch. Aber das spreche ich nicht oft, nur mit meiner Mutter. An unserem Küchentisch werden verschiedene Sprachen gesprochen: Mit meiner Mutter rede ich Dänisch, mit meinem Vater Norwegisch. Dänisch habe ich aber so lange nicht regelmäßig gesprochen, dass ich das Meiste vergessen habe. Es ist eine Sprache, die ich gesprochen habe, als ich 15 war. Das ist, verglichen mit meinem jetzigen sprachlichen Ausdrucksvermögen, eine Babysprache. Doch Dänisch ist die Sprache, die in meinem Herzen lebt, also müsste ich eigentlich alles, was ich mit meinem Herzen ausdrücken will, auf Dänisch schreiben. Norwegisch ist für mich nur ein Kommunikationswerkzeug für den Alltagsgebrauch. Englisch dagegen war die Sprache der Bands, die ich mir angehört habe, als ich aufgewachsen bin. Es ist einfach die richtige Sprache für diese Art von Musik. Bisher habe ich mich aber trotzdem auf die Melodie konzentriert, denn damit kann ich die Menschen überall erreichen. Texte waren mir immer schon wichtig, standen jedoch nie im Mittelpunkt. Bei der Entstehung dieses Albums habe ich aber festgestellt, dass es so viele wichtigere Dinge als Musik gibt. Die gesamte Weltwirtschaft geht den Bach runter, aber trotzdem stehen alle da und sagen, dass alles toll ist. Diesmal war es mir wichtig, den Menschen mit meiner Musik eine klare Nachricht zu senden. Trotzdem denke ich, dass ich nicht zu viel sage und jeder selbst interpretieren kann, was ein Lied ihm vermitteln will. Ich wollte auch kein Album für Leute machen, die fanatische Anhänger von Verschwörungstheorien sind.

Glaubst du denn an Verschwörungstheorien?
Verschwörungen gibt es jeden Tag in den verschiedensten Bereichen. Alleine schon ein Album zu produzieren, ist eine große Verschwörung. In dem Fall besteht sie aus einer Plattenfirma, einem Management und einer Band.

ImageAber das ist doch eher ein Netzwerk. Unter Verschwörung verstehe ich etwas Geheimes, das im Verborgenen abläuft.
Meine Plattenfirma würde nie öffentlich erklären, welche Mittel sie verwendet, um ihre Produkte zu verkaufen. Das ist generell so in der Werbung: Es geht darum, den Leuten zu sagen, dass sie etwas brauchen, was sie aber in Wirklichkeit nicht brauchen. Hinter einem Werbespot steht eine Verschwörung von Leuten, die zusammensitzen und sich überlegen, wie sie in die Köpfe von jungen Menschen eindringen und sie brainwashen können, um an ihr Geld zu kommen. Aber die Verschwörungstheorien, die du meinst, beziehen sich wohl eher auf etwas anderes.

Genau. Sind die Amerikaner wirklich auf dem Mond gelandet? In dem Song „Apollo" scheint ja so etwas wie ein Zweifel daran durch.
In dem Lied mache ich mich eigentlich über beide Seiten lustig. Über die fanatischen Anhänger von Verschwörungstheorien, aber auch über die Menschen, die ihr Leben leben, und nicht einmal wissen, dass es tatsächlich Verschwörungen gibt. Wichtig an „Apollo" ist aber auch, dass die Apollo-Mission nach einem Gott benannt wurde, der eigentlich derselbe ist wie Luzifer. Im Grunde war es also eine Mission, die dem Teufel gewidmet war. Das ist das wirklich Interessante. Besonders, da Amerika ein christliches Land ist. Warum also würde dieses Land, eine der wichtigsten Missionen seiner Geschichte nach Satan benennen?

ImageWenn die Präsidentschaftswahlen in den USA ein Jahr früher stattgefunden hätten, wäre das Album dasselbe?
Die Präsidentschaftswahlen sind nur ein großes Spiel. Alle politischen Parteien sind Bullshit. Ich weiß nicht wie es in Deutschland ist, aber in Norwegen kennen sich alle Politiker untereinander. Egal, welche Partei gerade an der Regierung ist: Wir sehen keine Veränderung. Wenn wir Veränderungen sehen, dann schlechte: Kürzungen im Bildungs- und Gesundheitsbereich und bei der Polizei. In der Stadt, in der ich wohne, ist die Polizeistation am Wochenende geschlossen. Aber sie schicken jeder terroristischen Vereinigung auf der ganzen Welt Geld. Das politische Norwegen denkt immer, es sei so toll. Es ist ein reiches Land wegen des ganzen Öls, und verkündet immer, wie es die Welt retten will. Am Ende versaut es aber immer nur alles.

Letzte Frage: What makes you go berzerk?
Pilze (natürlich sind hier keine Champignons oder Morcheln gemeint, Anm. d. Red). Aber ich nehme keine mehr.

http://www.apoptygmaberzerk.de/
http://www.myspace.com/apoptygmaberzerk

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