Olaf Boqwist - Hundert Kronen

ImageOlaf Boqwist hat seit den 80ern vieles ausgereizt, was mit und ohne Bands möglich war - Krach und Ruhe, Gitarren, Schlagzeug, Bässe, Brüllen, Singen, Schweigen, Song und Soundscape. Meist in Bands und Projekte wie Blue Kremlin, Brosch, Dolche, Rossburger Report, Mispelheim - nun Solo.

Nicht immer wurden diese Arbeiten durch einen Tonträger gekrönt und auch zu seiner aktuellen Single "Hundert Kronen“ musste man Olaf Boqwist fast schon zwingen. Sympathischer Weise scheint das Experimentieren und der Drang Neues auszuprobieren wichtiger als das Schielen auf die eigene Diskografie.

Rückblick: Der Einstieg in die Hamburger Szene begann für Olaf Boqwist in den frühen 80ern mit der Post-Punk Band Blue Kremlin bei denen er zusammen mit Markus Lipka (später Eisenvater) und Host Petersen (später Die Erde, Jetzmann) Schlagzeug und Gitarre spielte. Danach dominierte bei Brosch das Brachiale, Laute, Dreckige. Die LP "Broschismus" soll als krachende Referenz dienen. Nach dem er 1992 noch am Rossburger Report Experiment beteiligt war, - einer von Markus Lipka und Christian Mevs (ex-Slime) geschriebene Partitur für 12 Gitarren und 2 Schlagzeuge – folgten Experimente und Projekte, die nicht mehr die Öffentlichkeit erreichten. Eines dieser Projekte ist Mispelheim, das Boqwist zusammen mit Manuela Rickers (ex-Xmal Deutschland) 2003 initiiert hat. Die enstandenen - noch sehr rauen - Demos zeigen Songs von spröder Schönheit, die eine angenehme leicht angedunkelte Post-Wave-Atmosphäre verströmen ("Morsch", "Dunkler Ort") oder aber in ihrer noisiger Direktheit gegen den stoischen Drumbeat anspielen ("Holz", "Informationen am Abend"). Dazu fragmentartige deutsche Texte, die entfernt an XmalD erinnern. Trotz der 80er Verweise klingen Mispelheim aber niemals einfach nur retro. Leider wird es wohl bei diesen Demoaufnahmen bleiben, doch dazu im Interview mehr. 

Nun Solo: Viele Songs sind in den letzten Jahren angefallen, einige können auf seiner MySpace-Seite gehört werden und schließlich erschien mit "Hundert Kronen“ 2007 die erste Veröffentlichung zum Anfassen, ganz ohne Label, als Vinylsingle und mit schönem Hardcover. „Warum beschränken, wenn das Leben endlich, der Kosmos aber unbegrenzt ist? Zwischen Ampeg und Hiwatt, Fender Jazzmaster und Laptop, Hamburg, Kopenhagen und Berlin muss man sich nicht entscheiden, man nimmt alles - vielleicht nicht immer gleichzeitig.“ (O.F. auf www.boqwist.de). Entsprechend findet man zwischen Soundscapes, Elektrogeschraube und Cocteau Twins-Gitarren bzw. noisigen Wall of Sounds alles bei Boqwists Solo-Songs. Nur keine Wiederholungen, denn die langweilen nur. Auch die beiden Stücke auf "Hundert Kronen“ sind in ihrer Anlage recht unterschiedlich: Ist "Spielen“ ein ruhig dahinfließender, ein wenig Shoegaze-artiger Song, mit hellen, glockenklaren Gitarren (die übrigens wiederum von Manuela Rickers eingespielt wurden), zeigt "Hundert Kronen“ stärker die elektronische Seite von Boqwist und seine Fähigkeit dichte Soundscapes zu konstruieren: Das Besondere an dieser atmosphärischen Kollage aus Gitarrenklängen, Kleinkindgebrabbel und Elektrogefrickel ist, dass sie sich nie verliert, sondern die Spannung hält und zu dem noch ungemein treibend ist. Eine sehr schöne Veröffentlichung bei der einfach das Gesamtpaket aus Verpackung, Haptik und Musik stimmt. Grund genug mehr von und über Olaf Boqwist erfahren zu wollen:

Betrachtet man die Bands, bei denen du gespielt hast, dann fällt auf, dass man dich nie auf eine bestimmte musikalische Stilrichtung festlegen konnte. Zwischen "Krach und Ruhe, brüllen, singen, schweigen, Song und Soundscape" war alles dabei und nur Bass zu spielen hat dir auch nicht gereicht. Woher kommt diese Lust am Experimentieren und an der Veränderung?
Ich verstehe nichts von Musiktheorie und bin immer wieder überrascht, wie harmonische Zusammenhänge entstehen und was sie in mir auslösen können. Die Neugier treibt mich wohl an, manchmal auch eine gewisse Unzufriedenheit mit den bisherigen Ergebnissen. Gibt es nicht auch bildende Künstler, die eine Technik fallenlassen, sobald sie diese beherrschen und fortan etwas ganz anderes machen? Natürlich hinterlassen auch persönliche Entwicklungen ihre Spuren in der Musik der jeweiligen Phase, so dass dieses Werk eher ruppig erscheint und jenes introvertiert. Früher als 19-jähriger Angry Young Man musste man ja immer in Mikros schreien, mittlerweile mache ich einen Bogen um diese Dinger und man würde mich auf der Bühne wahrscheinlich eher als Shoegazer bezeichnen.

Wie hat es sich denn angefühlt, bei den Aufnahmen zur 7" "Hundert Kronen/Spielen" losgelöst vom Bandkontext Musik zu machen?
Ich weiß schon gar nicht mehr wie das ist mit einer Band, schon eine Weile her. Mir fehlt aber die vibrierende Luft, im Heimstudio geht ja doch vieles direkt in den Rechner ohne Umwege über Mikrophone und klingt mir manchmal zu glatt. Dieses laborhafte hat aber auch was...

Auf der Single vor allem mit programmierten Sounds und Beats, die du aber auch mit Gitarren kombinierst. Vor allem "Hundert Kronen" wirkt sehr kollagenhaft, dabei aber niemals ins Diffuse abdriftend, sondern immer sehr dicht und treibend. Hast du beim Schreiben der Stücke schon einen konkreten Sound im Kopf oder gehst du da ganz ergebnisoffen heran und schaust wohin es sich entwickelt?
Stücke entstehen bei mir auf unterschiedlichste Weise. Mal sind es flüchtige Skizzen, die dann so bleiben sollen. Mal ist es eine lange Auseinandersetzung mit sämtlichen Bestandteilen, besonders wenn es derer zu viele werden: Harmonien, Geräusche, Arrangement, Mix usw., manchmal verwerfe ich so eine Baustelle, wenn sie mir zu unübersichtlich wird oder mache etwas ganz anderes draus.
"Hundert Kronen" zierte sich nicht so, das Stück zeigte doch recht schnell sein Gesicht und ich fand bald, ich konnte nicht mehr viel falsch machen. Es ging mit der Basslinie los, die mir während meiner Zeit in Kopenhagen mal im Kopf umherschwirrte. Der Rest kam dann wirklich fast von allein dazu. Collagen faszinieren mich tatsächlich, ich habe ja Kommunikationsdesign studiert, mich dabei eine Zeit mit Farben, Formen, Mustern, und sog. "Evokativen Verfahren" beschäftigt, dabei spielten Assoziationen und das Unterbewusstsein eine Rolle. Ich habe dabei einige Anregungen für meine Musik erhalten, gerade das Beginnen ohne konkreten Plan, das Spielerische.
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Bei "Spielen" hat Manuela Rickers (ex-X Mal Deutschland) die Gitarre gespielt. War das nur eine einmalige Session oder gibt es da eine Chance auf eine Wiederholung?
2003 haben wir unter dem Namen Mispelheim eine Menge Stücke zusammen gemacht, d.h. Manuela hat meist Gesang beigetragen, ich den Rest. Das war eigentlich ein reines Homerecording-Projekt, irgendwann probierten wir es auch als Band mit Schlagzeuger, das hat aber im Proberaum nicht so funktioniert. Wir sprachen dann über Jahre immer mal wieder darüber, weiterzumachen. Vor kurzem hat Manuela mich dann in Berlin besucht, doch wir merkten schnell, dass es nicht mehr passt, leider. So blieb es bei einer Menge Stücke im Demo-Stadium.

Der DIY-Gedanke scheint ja bei dir überlebt zu haben oder warum die Veröffentlichung von "Hundert Kronen/Spielen" ganz ohne Label und als Vinyl-7"?
Ich habe mir sagen lassen, dass man grundsätzlich kein Label braucht, also habe ich das ohne gemacht. Mich hat da Asmus Tietchens beraten, der mir auch zum Vinyl-7"-Format riet und überhaupt seinen Anteil daran hat, dass ich endlich mal was selbst veröffentlicht habe nach all der Zeit. Ich habe aber nach wie vor einfach wenig Ahnung vom ganzen Biz, sonst wäre sicher mehr erschienen.

Auf deiner MySpace-Seite gibt es noch weitere Stücke zu hören, die du in den letzten Jahren geschrieben hast. Kommt da noch was?
Es gibt Berge von Material, die sich besonders in den letzten zehn Jahren angehäuft haben. Vermutlich muss man mir die Musik entwenden und herausbringen! Es wird aber bestimmt mehr Veröffentlichungen geben, das wünsche ich mir jedenfalls. Neue Stücke entstehen jeden Tag. Ich versuche außerdem gerade, Solo-Auftritte auf die Beine zu stellen.

Wie planst du denn die Live-Umsetzung deiner Songs?
Ich hab mir dafür eher die Wall-of-sound-Stücke mit viel Gitarre rausgesucht, damit ich auf der Bühne auch etwas zu tun habe, nur Knöpfchen drehen wollte ich nicht. Hier und da kommt vielleicht noch Stimme dazu. Zum ganzen Set soll ein Video projiziert werden, an dem ich gerade sitze. Da ist noch einiges zu tun, aber ich komme voran, seit ich endlich eine Vorstellung davon habe, wie ich das machen will.

Du hast bei Bands wie Blue Kremlin, Brosch, Dolche oder Rossburger Report gespielt und somit die Geburtswehen der Hamburger Schule miterlebt. Wie sind deine Erinnerungen an die 80/90er Jahre in Hamburg?
Geisterfahrer, Xmal Deutschland, Abwärts, Kastrierte Philosophen, Andi Giorbino, Alfred Hilsberg, Kir, Subito, Luxor, Volxküche... All das fällt mir spontan bei den frühen 80ern ein, jedenfalls waren das meine Bezüge. Ich habe in den 90ern eher wenig Musik gemacht, das hat sich zum Glück geändert!

Stichwort Hamburg: Was geht denn da eigentlich zurzeit ab: Erst "L'age D'or" pleite, dann das Soungarden Tonstudio dicht und jetzt noch das Molotow für dem Aus?
Dazu kann ich leider wenig sagen... außer zum Soundgarden. Es ist wohl für viele Studios schwer geworden, da ein Teil der Bands oder Projekte auch am eigenen Rechner schon recht viel machen kann. Chris hat sich aber zum Glück aufs Mastern spezialisiert und kann das in viel kleineren Räumen machen. (Anmerkung: Das Molotow scheint mittlerweile gerettet zu sein...)

Einer deiner ersten Bands bei denen du gespielt hast waren Blue Kremlin, die jetzt auch bei MySpace wieder Freunde suchen. Eine kleine Sentimentalität eurerseits oder plant ihr vielleicht mal eine Zusammenstellung mit den alten Songs? Immerhin ist das Output von Blue Kremlin ja sehr begrenzt – also fast gleich null.
Ich fand ja irgendwann heraus, dass Blue Kremlin nach über zwanzig Jahren durchaus Fans da draussen hat, vor allem im Ausland. Zum Beispiel wurde im Internet ein Auftritt von uns als Bootleg-Tape für 35 Dollar angeboten. Das ist erstaunlich, da uns damals ja nur die Szene in Hamburg kannte und wir eine Cassette veröffentlichten, sowie zwei Beiträge auf Compilations. Ein paar Amerikaner nahmen kürzlich über meine Myspace-Seite Kontakt zu mir auf und wollten alles Mögliche über die Band und mich wissen. Ich hab dann einfach auch ne Seite für Blue Kremlin gemacht, um mal zu sehen, was passiert. Tatsächlich kommen viele Besucher aus allen möglichen Ländern auf die Seite und schreiben nette Kommentare, das freut uns wirklich sehr. Ein kleines amerikanisches Label will nun die Stücke vom Tape auf CD wiederveröffentlichen nebst dem Liveauftritt und Extras. Wir sind natürlich total gerührt. Vielleicht mache ich auch einfach noch mal ne Seite für die Dolche, ein paar Fans gab's da ja auch.

Die Bands bei denen zu gespielt hast, die waren ja doch immer sehr kantig (Brosch) oder sehr verkopft (Rossburger Report). Nie mal Lust gehabt auf einen richtig simplen, schönen Popsong?
Hmm, die beiden Sachen sind ja nun eine Weile her. Wenn Du mit Popsong auch so was wie z.B. Editors meinst... Durchaus möglich mit einer Band. Solo jage ich doch eher den komischen Sachen hinterher, das muss aber keine Songstrukturen ausschließen.

www.boqwist.de
www.myspace.com/boqwist
www.myspace.com/bluekremlin

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