Phillip Boa - Ein Höhenflug voller Tiefen

ImageNie ganz weg und doch wieder da. Phillip Boa, Ikone der deutschen Indie-Szene, rebellierender Musiker - ein Stück deutscher Musik-Geschichte. Mit einer ausgedehnten Tour und einem neuen Album feiert Boa mit seinem Voodooclub das 20-jährige Bestehen. Unruhr.de sprach mit dem Dortmunder vor seinem Konzert in Essen.

„Schnell rein, Boa wartet schon“, gellt mir ein Musiker entgegen. Also Kameratasche schultern, tief Durchatmen und durch einen kleinen, dunklen Gang. Die Tür am Ende öffnet sich fast von selbst. Ein freundlicher Phillip Boa streckt direkt die Hand entgegen: „Ich bin der Phillip“. Nett – netter als eigentlich erwartet. Vielleicht sind die Gerüchte, Boa sei zur schreibenden Zunft oftmals weniger als freundlich, schlicht übertrieben. „Setz dich endlich“, folgt der Befehl. Was bedeuten denn nun 20 Jahre für Boa? „Tiefen, Tiefen und Tiefen“, sprudelt es aus ihm heraus, „älter bin ich geworden – vielleicht schon zu alt“. Breites Grinsen bei Boa. Das glaubt er wohl selbst nicht. Dann wieder der ernste Blick.

ImageViel wichtiger sei aber etwas anderes: Ob ich endlich ein Handy hätte, um damit Musik aus dem Internet kaufen zu können, will er wissen. Denn darauf stehe er total: „Das ist die Zukunft – und die darf man einfach nicht verpassen“. Was heißt hier verpassen? „Das war vielleicht mein größter Fehler“, räumt Boa ein. Etwa der ewige Kampf gegen die Musikindustrie? „Nein – ich war einfach zu faul – ich habe eine ganze Generation an Hörern ignoriert“, lautet seine Erklärung. Musikalisch habe er sich nichts vorzuwerfen. Dennoch: Die neuen Sachen sollen „frischer“ klingen. Für Ende September diesen Jahres ist das neue Album geplant. Titel noch ungewiss. „Es wird klingen, als sei die Musik an sich keine zwei Jahre alt“, verdeutlicht Boa. Wie müssen die Fans sich das vorstellen? „Ich stehe total auf Musik wie The Strokes – so frisch soll es klingen“.

Das neue Plattenlabel macht es möglich. Phillip Boa steht seit Anfang des Jahres wieder bei Motor unter Vertrag – bei dem Label, das ihm schon damals zu großen Erfolgen verholfen hatte. „Nach der Abspaltung von Universal fragten mich die Leute von Motor ob ich das Label wieder mit aufbauen will“, erinnert sich Boa. Ein neues Label unterstützen, das gefällt ihm. Verbiegen lassen will er sich trotzdem nicht: „Ich sollte direkt zu einem Foto-Shooting – aber nicht mit mir“. Wutentbrannt greift er sich eine unschuldige Ein-Liter-Packung Direktsaft, Geschmack Apfel. „Was ist das für ein Mist – hier steht 88 Prozent Fruchtsaft drauf“, flucht Mister Boa, „das ist niemals Direktsaft“. Schnaubend pfeffert er das Tetra-Pack zurück auf den Tisch.

ImageWo waren wir stehen geblieben? Ach ja – 20 Jahre Boa… „Eigentlich ging die Zeit viel zu schnell vorbei“, sinniert Boa, „im Nachhinein betrachtet war schon alles cool“. Welche Erinnerungen bleiben denn besonders im Gedächtnis hängen? „Es gibt unzählige Erlebnisse, die einfach einmalig sind“, so Boa. „Ich muss 26 gewesen sein, damals spielten wir in Roskilde auf einem Festival. Vor oder nach uns waren Midnight Oil dran. Auf jeden Fall laufe ich hinter der Bühne her. Plötzlich steht er vor mir: Bob Dylan. Ich meine: Hey, das ist verdammt noch mal Bob Dylan. Mit großen Augen starre ich ihn an – und das einzige was ich herausbringe ist ein kleines Hello“. Oder die Sache damals mit Marylin Manson. Der hatte eine private Toilette. Bewacht von Bodyguards. Boa ist aber trotzdem drauf gekommen. Über das „Wie“ gab es aber keine Auskunft.

Auf die Erinnerungen braucht Boa erstmal ein Kaugummi. Dann Stille. Drei Minuten lang schaut Boa auf den Schützenfest-Holz-Tisch in seiner Garderobe. „Was aber total geil ist – unsere neue EP“, schießt es plötzlich aus ihm heraus. „20 years of Indie-Cult“ heißt sie. Mit neuen Remixen von Klassikern wie „Love on sale“. Moderner, runder, nicht mehr ganz so Boa-quer. Vielleicht ein Ausblick auf das kommende Album im Herbst. Die EP gab es übrigens nur während der Tour zu kaufen – oder halt in diversen Online-Musikshops. „Ich finde online Musik kaufen einfach genial“, spricht Boa. Dann stürmen zwei Roadies die Garderobe: „Soundcheck geht weiter“. Boa verabschiedet sich: „Wir sehen uns noch“. Bestimmt. Demnächst wird man Boa wieder häufiger sehen können. Vor dem Backstage-Bereich warten drei junge Fans auf Phillip Boa. Die zwei jungen Mädchen nimmt er rechts und links in den Arm, schnell wird ein Foto gemacht. Boa will nicht erneut eine Generation verpassen.

Fotos: mh

http://www.phillipboa.de Image