Gott wohnt in der Nordstadt

B. Gott Wenn ein Lied „Herrlicher Morgen“ heißt, hört man im Normalfall schon gar nicht mehr hin und denkt: „Bitte, nicht noch einer von diesen Tagesanbrüchen.“ Nur: Wenn Gott persönlich den Morgen zum herrlichen erklärt, muss doch was dran sein, oder? Fragen wir ihn doch einfach mal. Wir dürfen ihn auch duzen. Er heißt Boris, Boris Gott.

Dortmunds neuer Songwriter-Held hat kürzlich mit „Liedern aus der Nordstadt“ sein erstes eigenproduziertes Album vorgelegt und predigt sich derzeit durch die liedermacherkompatiblen Lokalitäten unserer Heimat. Gott spielt Gitarre und singt dazu. „Lebend kommt hier niemand raus“, meint er. Und da hat er vermutlich recht. Trotzdem klingen seine Lieder immer so, als würde es sich lohnen, doch noch lebend davonzukommen. „Junkies leuchten, Mütter schreien, es ist schön, hier zu sein.“ Das bringt es wohl auf den Lebenspunkt.

Die Nordstadt ist der rechte Ort für diese Gegensätze. In keinem anderen Quartier hat sich die vermeintliche Westfalenmetropole so viel Lust bewahrt, zeigt sie sich atmend und beweglich, vergänglich und leidend zugleich. Abends palavern die Türken am Straßenrand, während die Nutten zur Arbeit stiefeln. Dazwischen spielen Kinder oder sammeln alte Männer Pfandflaschen. An der Ecke trifft man sich noch zum Bier und im Hinterhof hat sich der Jungdesigner oder das Tonstudio günstigen Büroraum gemietet. In der südlichen Innenstadt und im Kreuzviertel verrammeln sich die Rechtsanwälte und Ärzte in ihren lifegestylten Lebensillusionen, während einem im Norden die brutalen Gegensätze klar machen, dass man sich das Leben nicht schön duluxen kann. Richtig: Das ist keine neue Erkenntnis, aber nur wenige bringen es so einnehmend auf ein paar Zeilen wie Boris Gott. „Ich bin wie die Katzen. Ich zieh laut von Haus zu Haus und mich dabei nackig aus.“ Das macht er mit seinen Liedern.

B. Gott Gott übernimmt hier einen Job, der eigentlich schon lange mal erledigt werden musste: Die Rehabilitation eines Stadtteils, und die Rehabilitation eines Lebensgefühls. Nennen wir es mal Romantik, weil es gerade so gut in die Zeit passt. Sehnsucht nach etwas Gutem. Hoffen wir nur, dass das pseudohippe Publikum nicht darauf anspringt, den Norden stürmt und mit seinen Illusionen luxussaniert. Bleibt mal schön im Süden und pflegt eure Depressionen hinter hübscher Fassade. Reicht doch, wenn ihr Gott zuhört.  Deshalb haben wir ihm auch noch ein paar Fragen gestellt.

Unruhr:
Seit wann wohnt Gott in der Nordstadt?

Seit Juni 2000. Bin gerade von der Missunde zum Borsigplatz gezogen.

Unruhr:
Neulich habe ich in einem seltsamen Dortmund-Forum tatsächlich gelesen, dass man alles, was nördlich des Bahnhofs liegt, besser nicht betreten sollte. Was sagst du einem solch verstörten Menschen?

Kronen-Export kaufen, Dönertasche dazu und schon bist du praktisch unsichtbar unterwegs zwischen Nordmarkt und Hornbach-Straßenstrich. Wer südlich der Bahnschienen bleibt, verpasst was! Lasst euch überraschen...

Unruhr:
Was unterscheidet eigentlich Dortmund und das Ruhrgebiet von anderen Metropolen? Groß genug ist doch alles hier, aber irgendwie geistert doch auch immer so ein wenig das Provinzielle durch die Quartiere. Was meinst du?

Nirgendwo gibt’s so viele Trinkhallen und nirgendwo wirst du so schnell geduzt (nein auch nicht in Berlin!). Nirgendwo sieht man so viele unfreiwillig hippe Typen in 80er Klamotten wie im Ruhrgebiet. Die Leute sind „trend-resistent“. Das hat was.

Unruhr:
Liebe, Scheitern, Freundschaft, Suff und Suchen. Das sind wohl deine wichtigsten Themen. Allesamt existenzielle Themen. Da ist es immer schwierig beim Texten nicht die Grenze zur Triefigkeit und zum Kitsch zu überschreiten. Das scheint dir ganz gut zu gelingen. Wie entstehen und wachsen deine Texte?

Irgendwas schreit mich von innen heraus an: lass mich raus! und dann versuche ich diesem Drang eine Gestalt zu geben. Ich bin mal zwei Jahre arbeitslos durch die Nordstadtstraßen gezogen und hab alles in mich aufgesogen. Das war eine gute Schule und hilft gegen vermeintlichen Kitsch, ohne unsensibel zu werden.

B. Gott Unruhr:
Du versprühst eine Menge Songwriter-Flair auf deinem ersten Album. Früher nannte man das wohl Liedermacher. Siehst du dich da in einer gewissen Tradition, hast du Vorbilder oder hat es dich einfach gepackt, diese Musik zu machen?

Ich mochte schon immer Melodien. Als meine Kumpels Slayer gehört haben, war ich bei Nick Cave und Hüsker Dü zuhause. Irgendwann hab ich beschlossen deutsch zu singen, weil das Rumkramen im Englischlexikon so nervig war. Dass es eine Tradition von Liedermachern gab, war mir gar nicht so bewusst, wusste ich nur aus dem Deutschunterricht. Momentan beschäftige ich mich aber intensiver mit Liedermachern. Da gibt es eine Menge zu entdecken und man kann viel von den Franzosen oder den Amis auf diesem Gebiet lernen.

Unruhr:
So weit ich weiß, bist du auch auf andere Art musikalisch aktiv. Was treibst du sonst so?

Ich spiele bei „the freMdenzimmeR“ E-Gitarre und singe. Wird man demnächst mehr von hören – wir sind noch in der Aufbauphase. Außerdem versuche ich gerade die „Boris Gott Band“ auf die Beine zu stellen. Wer Interesse hat, kann sich gerne bei mir melden.

Unruhr:
Was hört Gott für Musik, wenn er selbst keine macht?

Willi Nelson im Moment viel. Dazu den Herrn Cash, Stephan Eicher berührt mich sehr, Bob Marley, Peter Tosh und Bob Dylan nicht zu vergessen.

Unruhr:
Die obligatorische Frage: Warum Gott?

Irgendeiner muss den job machen.

Unruhr:
Gibt es neue Pläne, neue Lieder, neue Ziele? Deine letzte CD war doch vermutlich nicht die letzte.

Neue Studioaufnahmen sind geplant und dann die erste Boris Gott CD mit Band. Lieder hab ich einen ganzen Sack voll. Ich visiere Herbst/Winter 2005 an. Zum Herbst hin soll es auch noch ein gemeinsames Projekt mit Mick Steffens – Dortmunder Autor und Do!Pen Aktivist - geben. Eine Mischung aus Lesung und Konzert. Das ganze wird heißen „lebend kommt hier niemand raus... Geschichten aus der Nordstadt“ .

www.borisgott.de/
www.do-pen.de

Gottes nächste Gigs:
19.05.05 LINDENBRAUEREI, Unna (mit Jo Finke)
21.05.05 SUBROSA in Dortmund (mit Jo Finke)