American Lead Guitar: "ich will gerne einen Song, der Art must destroy heißt"

In freudiger Erwartung auf ein unterhaltsames Konzert und ein hoffentlich noch unterhaltsameres Interview mit den Dortmunder Shootingstars American Lead Guitar mache ich mich am Abend des 25.09.04 auf den Weg in das Freizeitzentrum West.

Als Hauptact, ganz nebenbei, sind an dem Abend auch die spanischen Soulpunks von Tokyo Sex Destruction angekündigt. Das kann also nur heiter werden.
Wie telefonisch mit Bandgründer und Leadgitarrist Bel Cantor besprochen, treffe ich um 19:30 h im FZW ein. Dort werde ich erstmal Zeuge eines kleinen Desasters, das ein Interview vor dem Auftritt unmöglich macht. Der Ausfall der Videoanlage, ein wichtiges Element in der Show, macht die Band nervös. Die weiß gekleideten Musiker bilden normalerweise zusammen mit den von weißen Tüchern verdeckten Verstärkern eine Projektionsfläche für allerlei Licht- und Videospektakel, das heute leider ausfallen muss.
Doch wie sich in der anschließenden Show herausstellt, sind die Fünf viel zu routiniert, als dass sie sich dadurch den Abend verderben lassen würden. Der einzigartige Sound und die ideenreichen Arrangements, von denen nicht nur heimische Kritiker in den höchsten Lobestönen reden, bringen die gute Laune schnell zurück und ich bekomme dann doch noch ein Interview, von dem ich nie gedacht hätte, dass es so lang und aufschlussreich würde.
Bel Cantor (u.a. bekannt durch Les Jacks, Air 6 und Popgun), Bel Ètage, der charismatische Frontmann (Ex- Vampyre State Building), Bel Vedere, der Bassmann (Indoor Surfers)und Bel Coque au Vin (Ex-Lachsbarbie), der zweite Leadgitarrist, stehen fast 45 Minuten lang Rede und Antwort. Nach einer Viertelstunde gesellt sich noch Drummer Bel Epoxyde (Agitators, Popgun) hinzu, um das Gespräch in eine etwas amüsantere Richtung zu lenken. Aber lest selbst:

Unruhr: Das Titelstück der aktuellen CD heißt "Art must destroy". Was sollen wir davon halten?

Bel Ètage: Ja, jetzt müsste der Drummer hier sein

Unruhr: Hat der Drummer den Song geschrieben, oder wer schreibt die Songs bei euch?

Bel Cantor: Das war eine fixe Idee.
Bel Ètage: Der Drummer hatte diesen Slogan, der ihm relativ kraftvoll erschien und dann hat er das so im Proberaum vorgestellt und kaum eine halbe Stunde später war der Song im Grundgerüst eigentlich fertig. Dann wurde noch ein bisschen dran geschliffen und dann ist halt eins zum anderen gekommen, also ich glaub nicht, dass da so viel Information gegeben wird, wie man es eigentlich vermuten könnte, das ist eher ein Slogan gewesen.
Bel Cantor: Das war ein Zufall, also Bel Epoxyde hat gesagt: "ich will gerne einen Song, der Art must destroy heißt" und dann hast Du noch gesagt (zeigt auf Bel Vedere), das soll Fis Dur sein und dann sind wir aufgestanden, haben einszweidreivier gezählt und haben angefangen zu spielen, deswegen kommt auch diese komische Kombination zusammen, dass ich die ganze Zeit D spiele, was eigentlich gar nicht harmonisch zu dem passt, was Bel Vedere spielt und dann war der Song fertig.

Unruhr: Auf jeden Fall einer der Superhits des Jahres, würde ich sagen. Was ist mit dem zweiten Song, Soluble Girl?

Bel Ètage: Es geht um eine Frau, die Instantpulver zu sich nimmt. Kann man vielleicht auch auf Rezept bekommen.

Unruhr: Warum habt ihr heute Abend nicht Sunny Annie gespielt (der Popsong auf der CD)?

Bel Cantor: Ja, das ist immer schwierig, wenn man als Vorband spielt und eingeschränkte Zeit hat - was spielt man nicht und was spielt man schon - das sind alles Kracher und...
Bel Vedere: …bei Sunny Annie ist die Umsetzung auch ein Problem, das ist zum großen Teil elektronisch.Bel Cantor: Das ist eigentlich überhaupt kein Problem.
Bel Vedere: Wir haben aber eine unterschiedliche Version.
Bel Cantor: Ja, aber ist doch egal, die ist doch auch cool.
Bel Ètage: Es ging auch darum, einerseits den Rock zu betonen, da hatten wir mit der einen Ballade, die wir gespielt haben diesen Gegensatz stärker definiert und wenn wir Sunny Annie noch gebracht hätten, hätte das das Ganze ein bisschen verwässert. So hatte man jetzt einerseits das Brett und diese Ballade. Wir mussten versuchen, das auf den Punkt zu bringen, weil wir nur eine halbe Stunde Zeit hatten.
Bel Cantor: Es geht auch immer um die Waage, wenn Du jetzt irgendwie beschränkt zeit hast, wir haben heute zehn Stücke gespielt, was dann auch gut hinkommt mit vierzig Minuten.

Unruhr: Ihr habt exakt vierzig Minuten gespielt.

Bel Cantor: Genau. Das haben wir auch so geplant. Das Ding ist einfach, wenn wir uns präsentieren wollen, dann musst du das in der Waage halten und wenn dann ein sanftes Stück dabei vorkommt, dann ist das genau im Verhältnis dementsprechend, was wir an sanften Stücken bringen wollen, bei zwei langsameren Stücken wäre das Verhältnis aus der Waage gekommen.

Unruhr: Was ist American Lead Guitar für ein Projekt, ist das eine Band, um eine Band zu haben, oder ist das eine Idee, ein Arbeitstitel?

Bel Ètage: Ich glaube wir hatten den Vorteil, dass wir nie eine Idee zu ergründen oder zu inszenieren hatten. Also wir standen nicht unter dem Druck, das tun zu müssen, sondern da ist eins zum anderen gekommen. Da war ruckzuck eine Konstellation von bestimmten Leuten da und man hatte immer sehr schnell seine Aufhänger, mit American Lead Guitar, dem Namen ist es genauso wie mit Art must Destroy, der Drummer kam rein und hatte den Namen von irgendwo her und alle sagten "hmm" und in dem Moment war klar, dass das der Bandname ist, aber warum das jetzt so ist, also das es von vorneherein geplant war, das hat es nie gegeben. Man trifft sich, Sachen ergeben sich und man arbeitet dann mit dem, was sich ergibt.
Bel Cantor: Und genau so läuft es eigentlich mit dem Bandkonzept, so dass es eigentlich kein Konzept gibt und wir uns, äh, fügen. Wir fügen uns den Songs.

Unruhr: Damit wäre vielleicht auch zu erklären, dass ihr alle noch in verschiedenen anderen Bands spielt, bzw. gespielt habt?

Bel Cantor: Das ist eigentlich unabhängig von einander.
Bel Vedere: Das ist natürlich völlig unabhängig, aber das war schon erst ein Projekt, von wegen wir tun uns jetzt zusammen und machen was Neues, weil es in den anderen Bands nicht geht. Ich glaube, dass uns, also mich, die Band dann so ein bisschen überfahren hat. Jetzt ist das für mich eine sehr wichtige Band geworden.

Unruhr: Ist die Band mittlerweile für dich genau so wichtig, wie die Indoorsurfers?

Bel Vedere: Vom Zeitaufwand sowieso und vom Kopf her auch.
Bel Cantor: Es ist ein Phänomen an der Band, dass sie ziemlich schnell eine Eigendynamik gekriegt hat, die wir teilweise gar nicht mehr beeinflussen können und wir fühlen uns manchmal sehr machtlos dem gegenüber.
Bel Ètage: Wir haben alle so viele Jahre in anderen Bands gespielt, oder machen das schon so lange. Es wäre nicht so gekommen, wenn es nicht genau so gekommen wäre.

Unruhr: Also Schicksal.

Bel Ètage: Ich würde den Punkt nicht so intensiv ausschmücken. Ich denke, das ist in vielen anderen Bands genau so.
Bel Cantor: Im Prinzip glaub ich nicht an Schicksal, aber…
Bel Ètage: …denk ich auch nicht. Ich denk einfach, dass Leute eine gewisse Erfahrung haben, dass jeder sich mit seinem Instrument auskennt und jeder auch musikalisch denkt, ein bisschen was mitbringt und hier auch was mitschnappt und da eine Idee hat, also einfach das, was Musiker tun. Aber dass wir jetzt möglichst eine avantgardistische Botschaft daraus machen wollen, die die Leute als das neue Rad entdecken sollen, das ist mit Sicherheit nicht so. Wir lassen uns einfach weiterhin treiben, folgen unseren kleinen Ideen und basta.
Bel Cantor: Das Ding ist ja, je weniger wir da selbst reinstecken, desto mehr wird komischerweise von den Leuten reininterpretiert. Schon alleine, wenn du den Namen hörst, American Lead Guitar, wo wir uns wirklich gar nichts bei denken. Wir wussten einfach, das ist unser Bandname, fertig. Und jetzt gibt's so Diskussionen, American Lead Guitar, darf man das in solchen Zeiten aussprechen - das sind Sachen, die wir uns gar nicht überlegt haben und die uns auch gar nicht an den Karren pissen.

Unruhr: Da fällt mir direkt euer Bandinfo ein. Da habt ihr geschrieben: "es ist eine Band aus dem alten Europa, die sich auf diese Tradition zurückbesinnt, auf die Mischung von göttlicher Erhellung und heidnischer Ekstase, die Konzentrierung der Macht auf eine einzelne Person…", also dieser American Dream, mit dem ihr jetzt in einer Zeit kommt, wo andere Bands aus diesem - ich sag jetzt mal ganz böse "Indierock-Genre" eigentlich mehr gegen das amerikanische System wettern. Für mich ist das so gesehen schon wieder ein kleiner Kunst-Appell, den sehe ich eigentlich ständig bei euch. Auch in euren Shows.
Bel Ètage: Es sind auch viele künstlerische Leute in der Band und auch die Art und Weise, wie das Bandinfo geschrieben ist, ich glaube, dass derjenige, der den Text geschrieben hat, der jetzt gerade nicht da ist, viel weniger Bandinformation geben wollte, sondern es ging ihm darum, einen Text zu verfassen, der in sich Sachen aufgreift, fortspinnt.

Bel Cantor: Dieser künstlerische Appell, den du da raushörst, der ist nicht bewusst da, aber wir haben das als die Persönlichkeiten, die wir darstellen so verinnerlicht, dass das Künstlerische zwangsweise auch durchkommt.

Unruhr: Es fällt halt schon auf, dass da fünf Leute auf der Bühne stehen, ganz in weiß gekleidet, die Verstärker alle weiß verhangen und es laufen Videoprojektionen im Hintergrund und dazu singt ihr "Art must destroy".

Bel Ètage: Das ist gleichzeitig die Parodie, dass wir irgendwie was mit Kunst zu tun haben könnten.
Bel Cantor: Ich sag ja, wir haben uns nicht da hingesetzt und gesagt, so, wir müssen das jetzt künstlerisch hinbiegen. Es war einfach normal für uns, dass wir da auch eine visuelle Note reinbringen müssen. Wir sehen das gar nicht als so unnormal an.
Bel Vedere: Was teilweise als Gesamtkonzept wirkt, Texte zusammen mit dem Visuellen und der Musik - wenn wir ehrlich sind, ist das alles unabhängig voneinander entstanden und das Gesamtkonzept ist Interpretationssache des Zuschauers.
Bel Ètage: Ich hätte auf jeden Fall ein Problem damit, wenn durchkäme, dass wir versuchen würden, Leuten was klar zu machen. Wenn du findest, das ist eine Message an die Indie-Bewegung, die ein bisschen entspannter werden sollte, dann ist das eine gute Interpretation dessen, was da passieren könnte. Ich glaube, dass keiner von uns jemandem das Gefühl geben möchte die Dinge so oder so zu sehen. Ich sehe das auch mit den Texten ein bisschen anders. Die sollen autonom für sich sein, möglichst frei von all diesen Sachen, fast eiskalt und steril.

Unruhr: Wer oder was ist dann der Motor bei der ganzen Sache?

Bel Vedere: Es gibt verschiedene Motoren. Der ursprüngliche Motor ist Bel Cantor gewesen, was die Gründung angeht und auch immer noch der Motor, was den Sound angeht, ganz einfach, weil er die Aufnahmen gemacht hat. Dann gibt's aber die Motoren für die visuellen Dinge, wo Bel Cantor auch einen großen Anteil dran hat. Dann gibt's die Motoren für die textlichen Geschichten, da sind eher Bel Ètage und Bel Vedere für verantwortlich.
Bel Cantor: Grundsätzlich kann man schon sagen, dass die Motoren, die die Motivation für das Ganze hervorrufen schon außerhalb automatisiert sind, dass wir da gar keinen Einfluss mehr haben, also wir meinen, das ist schon lohnenswert.
Bel Vedere: Ich glaube, ich kann da das meiste zu sagen, weil ich am Anfang sehr gezweifelt habe, von wegen: ich in einer Rockband, was soll denn die Scheiße jetzt? Also ich hab immer Bassgitarren abgelehnt, die wollte ich in keiner Band haben, jetzt spiele ich sie selbst, also daher das mit der Automation. Ich bin dann eben in einer Rockband, für mich ist das die ersten paar Wochen nur AC/DC, aber aus irgendeinem Grund mache ich weiter und jetzt denk ich, das hat einen Grund gehabt, dass ich weitergemacht habe.
Bel Cantor: Konflikte gibt's ja hier immer noch…
Bel Vedere: …da gibt's immer noch Konflikte, aber…
Bel Cantor: …also Konflikte nicht, aber Unstimmigkeiten, dass du zum Beispiel meinst…
Bel Vedere: …das gehört nicht ins Interview…
Bel Cantor: …ok, das muss gekillt werden, das ist privat, wir haben nämlich auch noch ein Privatleben.
Bel Vedere: Ich bin nämlich irgendwo reingewandert, wo ich nicht hingehört habe und jetzt gehöre ich da doch hin.
Bel Cantor: Was aber auch sehr von Vorteil ist, also, dass wir ihn dabeihaben. Das ist das Prinzip. Wir sind alle aus verschiedenen Richtungen. Vielleicht läuft es darauf hinaus, wenn man es irgendwann mal im Nachhinein betrachtet, wenn es uns jetzt ein paar Jahre gibt und dann noch mal zwanzig Jahre später, würde man die Band betrachten und diskutieren, wer ist denn jetzt die amerikanische Leadgitarre, würde man vielleicht darauf kommen, dass es eigentlich Bel Vedere war.

Unruhr: Der Bassmann sozusagen als erste Leadgitarre. Also habt ihr eigentlich drei Leadgitarren.

Bel Cantor: Nee, im Prinzip da vielleicht nur die eine.
Bel Ètage: Ja, nur die eine, denk ich auch. Das macht Sinn. Ich glaube, das Geheimnis ist gelüftet.
Bel Cantor: Also Lead im Sinne von Melodie und Hookline. Da sind wir (die Gitarristen) ja eher rhythmisch behaftet.
Bel Vedere: Was aber auch so sein musste, weil ich als Gitarrist halt nicht Bass spielen konnte und immer so auf diesem New Order/Joy Division-Ding war, ein Bass hat hohe Melodien zu spielen.

Unruhr: Gerade dieses Peter Hook-Ding macht die Band ja eigentlich mit aus, auch das Schlagzeug erinnert teilweise an Joy Division.

Bel Vedere: Das ist lustig, das wird auch immer vergessen, dass Bel Epoxyde auch ein Joy Division - Schlagzeug spielt im Prinzip…
Bel Cantor: Also im Prinzip ist es so, dass die Menschen, die die Rhythmusgruppe bilden eigentlich sehr zurückhaltend rhythmisch spielen sollten, hier sehr individuell und sehr nach vorne melodiös und frei spielen und die Gitarristen, die eigentlich mehr so die Dudler sind sich zurückhalten. Das ist also eigentlich ein ganz anderes Bandschema, was aber so ist, fertig. Das macht uns aus.

Unruhr: Seit wann existiert die Band jetzt?

Bel Vedere: Ich sag immer ein halbes Jahr, aber ich glaub schon länger.
Bel Cantor: Die Idee gibt es schon länger. Wir waren am Anfang zu dritt und haben rumgejamt, haben uns recht selten getroffen, dann kam Bel Ètage als Sänger dazu, was das Ganze ich sag mal so um fünfzig Prozent gehoben hat vom Standard. Und dann irgendwann war Bel Coque au Vin, einer der geilsten Gitarristen in Dortmund irgendwie am Start und ab dem Punkt würde ich erst den Beginn der Band sehen. Das ist knapp ein Jahr her.

Unruhr: Was habt ihr für Ambitionen? Seid ihr auf der Suche nach einem Majorlabel oder wollt ihr versuchen, die nächste CD wieder in Eigenregie und noch krasser, als die erste zu machen?

Bel Cantor: Natürlich ist es schön, in irgendwelchen Bereichen die Superlative zu erreichen, nur ist es natürlich auch nicht toll, auf Dauer immer nur die Superlative im Demobereich zu erreichen.

Unruhr: Das mein ich ja, hat da denn schon jemand angeklopft, oder habt ihr schon irgendwo angeklopft?

Bel Cantor: Wir sind am klopfen, aber das ist jetzt nicht - also es ist interessanter, wenn wir ein Produkt in der Hand haben. Ich hab genug Freunde, die mir schon seit zehn Jahren erzählen, wie viel Plattenverträge sie haben und im Prinzip hab ich nie wirklich was von denen gehört, das will ich jetzt nicht nachahmen.
Bel Vedere: Also wir haben definitiv keinen Plattenvertrag, aber wir können durchaus sagen, wir kümmern uns drum.
Bel Cantor: Wir haben von vielen um uns herum gehört, seien es Medien, Zeitschriften oder was weiß ich, die sich wundern, dass wir noch keinen Deal haben. Und dem gehen wir eigentlich nur nach.

Unruhr: Da erübrigt sich meine nächste Frage vielleicht bereits. Ruhrrock oder Red Carpet Ride? Geht es euch in erster Linie also mehr um das Spielen, als darum, dass ihr euch einen Plattenvertrag und großen Bekanntheitsgrad über das Ruhrgebiet hinaus erspielen wollt?

Bel Cantor: Nee, das können wir nicht so sagen. Wir haben schon Interesse dran. Wir haben bis jetzt in dem Zeitraum dreimal gespielt, das spricht ja dafür, dass wir uns nicht den Arsch aufreißen, unbedingt live zu spielen.
Bel Vedere: Ja, dieses Ruhrgebiet-Ding, ich weiß nicht, wie euch das geht, aber ich möchte das weg haben. Ich hab zehn Jahre lang im Sauerland Bands gehabt und wie sehr man dann auf die Dörfer, die es da gibt beschränkt wird und in Dortmund und Essen ist es genau so, da kommt man einfach nicht weiter‚ also wenn du es so hören willst, wir wollen auch nach New York.
Bel Cantor: Ja, die Arroganz sprechen wir uns auf jeden Fall zu. Ich würde uns schon als internationale Band sehen. Wir wollen nicht im Ruhrpott versauern.

Unruhr: Also ihr wollt den Wurm dann doch fangen.

Bel Epoxyde: Genau. Nur vor ostasiatischen Ländern haben wir ziemlich viel Respekt wegen der anderen Würmer, die es da gibt. Wir wissen noch nicht ganz, wie wir das lösen, aber wir werden es irgendwie lösen.
Bel Cantor: Ja, in Japan schafft es jede Band.

Unruhr: Ja, das habe ich auch schon mal gehört. Das scheint ja ein lukrativer Markt zu sein.

Bel Cantor: Das habe ich nicht nur einmal gehört, das habe ich mittlerweile von zehn Bands gehört. Alle Mittelklasse-Metalbands, die es hier im Ruhrgebiet gibt, werden da drüben gefeiert.
Bel Vedere: Ich hab die Tourdokumentation "Bap in Japan" gesehen, die spielen da vor 15000 Leuten.
Bel Cantor: Im Prinzip reicht es, dass du eine europäische Band hast.
Bel Epoxyde: Wir wollen eigentlich auch Kölner Standard erreichen.

Unruhr: Kommen wir zum Thema Vorbilder, da brauch ich ja eigentlich nichts zu fragen, da fällt mir selbst was ein…

Bel Cantor: Was willst du denn selbst dazu schreiben?

Unruhr: Auf jeden Fall, dass da jemand, der ganz viel Pavement gehört hat und jemand der die Dead Kennedys, The Fall und die Pixies kennt, auf Leute trifft, die vor längerer Zeit auf Elvis' Mystery Train aufgesprungen sind, äh, …wie er, äh, eigentlich im Fahrplan steht?

Bel Cantor (nach längerem Gelächter): Das kam aber jetzt sehr sachte. Das muss aber ein bisschen überzeugender klingen.

Unruhr: Ja gut, also, wie ist das mit dem Mystery Train? Lebt ihr den RocknRoll? Seid ihr eher Hafenarbeiter, als Langzeitstudenten, die die Zeit totschlagen?

Bel Cantor: Also, wir waren schon lange Langzeitstudenten. Jetzt nicht mehr, aber das hat man auch nicht so gemerkt. Ich meine worauf willst du hinaus? Meinst du, ob wir eher Hamburger neue Schule Poeten sind, oder eher RocknRoller mit Eiern in der Hose, oder was meinst du?

Unruhr: Ja, genau, das mein ich.

Bel Vedere: Beides nicht. Von wegen Arbeiter und so, wäre ja toll, wenn wir uns das auf die Fahnen schreiben könnten und irgendwie ist das auch so, wir sind ja auch alle Arbeiter, aber eher gezwungenermaßen.
Bel Cantor: Ja, aber das ist nicht Thema der Band. Wenn wir denn Arbeiter sind, sind wir das vielleicht, aber wenn wir dann jetzt hier sind, uns weiß kleiden, dann sind wir das nicht mehr, dann sind wir halt weiße undefinierte Hüllen, die in dem Moment keine Arbeiter sind. Wir sind einfach Projektionsflächen der Hirngespinste aller, die sich das begucken.
Bel Vedere: Aber wir sind keine Studenten. Das können wir ruhig schon mal…
Bel Cantor: Nee, zurzeit nicht.
Bel Epoxyde: Wir haben es nicht geschafft, geben wir's doch mal zu.

Unruhr: OK. Wo kann man euch in nächster zeit hören? Ist eine Tour geplant?

Bel Cantor: Ich sehe es jetzt nicht als so sinnvoll an, kleckerweise in irgendeinem Jugendzentrum in Buxtehude vor zwei oder drei Saufkollegen zu spielen, das macht für uns keinen Sinn mehr.

Unruhr: Man wird euch also weniger in Jugendzentren hören, sondern eher als Vorband von Acts wie Tokyo Sex Destruction oder Ähnlichem?

Bel Cantor: Das hat sich jetzt eher so ergeben. Das ist ja mehr so die RocknRoll-Schiene.
Bel Ètage: FZW ist ja auch so ein Ding. Jetzt hier aufzutreten, wo die meisten von uns schon zehnmal hier waren, ist ja auch nicht unser Ziel gewesen, sondern das hat sich wirklich so ergeben.
Bel Cantor: Wir wohnen hier um die Ecke, das war kein großer Akt. Von wegen RocknRoll-Schiene: wir wurden schon mal falsch verstanden und sind in die Ecke Schwedenrock reingedrückt worden, aber das sind wir nicht. Wenn Leute uniform gekleidete Menschen sehen und uns dann gleich als Hives-Kopie abstempeln, haben die einfach einen schlechten Musikbackground.
Bel Vedere: Ja, aber die meisten Leute, die Ahnung von Musik haben, hören das sofort und dann ist das geregelt.
Bel Cantor: Ja, aber der Typ, also wenn man eine Plattenfirma hat, sollte man das eigentlich wissen. Man darf aber jetzt nicht daraus schließen, dass wir Schwedenrockbands scheiße finden, also Hives und International Noise Conspiracy und wie sie alle heißen, sind wirklich geile Bands, die ich mir auch schon alle gerne angeguckt habe, aber das heißt trotzdem noch lange nicht, dass wir in dieselbe Richtung gehen wollen.
Bel Epoxyde: Ich finde, dass die (Hives) mittlerweile eher zu Berufs-RocknRollern mutieren, denen man doch nach dem dritten Mal die Show nicht mehr abnimmt.
Bel Ètage: Das ist ja auch wahrscheinlich bei einer Band wie The Hives so, dass die sich überlegen müssen, wo kauf ich mir jetzt meine Eigentumswohnung, oder wo investiere ich jetzt meine Kohle. Ich denke, die sind einfach auf einer ganz anderen Ebene und es wäre auch zu naheliegend, wenn eine Band wie unsere jetzt das Ziel hätte, so wie die zu sein, oder überhaupt irgendwie damit in Zusammenhang zu stehen.
Bel Epoxyde: Ein Ziel von uns ist auf jeden Fall unberechenbar zu sein und diese Bands sind natürlich schon ziemlich berechenbar. Du weißt, wenn du dir ganz bestimmte Klamotten anziehst, dann bist du in dem Publikum aufgehoben und wir wünschen eigentlich, dass sich die Leute entweder überraschenderweise zurückgestoßen fühlen, oder auch ein überraschendes Festival der Gefühle und der Phantasie erleben.
Bel Ètage: Du mit deinem Schlagerscheiß immer.
Bel Cantor: Das ganze Ding ist auch eine Art Modegeschichte, wobei ich jetzt Mode nicht negativ meine, weil ich eigentlich auf hippe Sounds oder was weiß ich abfahre, aber dafür sind wir vielleicht auch schon zu alt, als dass uns das jemand abkaufen könnte. Wir können jetzt nicht plötzlich einen auf hippe Teenieband machen.
Bel Ètage: Also wenn eine Band wie wir jetzt sagte, wir wären gerne wie die Hives, dann hieße das noch lange nicht, dass wir die Möglichkeiten hätten, damit das Publikum zu erreichen. Die Hives sind wirklich Profis. Neben der Band fahren noch fünf Tourbegleiter mit für dieses oder jenes, da geht's eben um richtig viel Geld. Das darf man bei den ganzen Sachen, die sich vielleicht ähnlich anhören nicht vergessen, eine andere Liga eben.
Bel Cantor: Es ist jetzt aber nicht so, dass ich mich nicht auf dieselbe Stufe stellen würde, im Gegenteil, ich würde da wieder von unserer Arroganz reden. Ich hätte gar nicht den Drang, wie die zweiten Hives zu sein. Wir haben andere Qualitäten.

Unruhr: Seid ihr dafür nicht auch zu wenig Garage?

Bel Cantor: Ja, ja, genau. Wir haben in gewissen Songs eine viel größere Reife, die die Hives nicht so musikalisch ausdrücken können.
Bel Vedere: Ich glaub auch, dass wir nicht ganz so retro sind.
Bel Cantor: Ja, wir haben schon Einflüsse, klar, die dringen mal durch, aber da üben wir keinen Einfluss drauf aus.
Bel Epoxyde: So wie die Sex Pistols, die sind auch zeitlos.
Bel Cantor: Aber wir haben keinen Malcolm McLaren, der uns zusammengewürfelt hat.

Unruhr: Ja, der fehlt euch eigentlich.

Bel Cantor: Nee, nee, ja, jetzt könnten wir einen gebrauchen. Das könntest du ja sein.

Unruhr: Nee, zum Manager bin ich echt nicht geboren…

Bel Cantor: Opfer all dein Geld und steck es in uns rein.

Unruhr: Ja, sehr gute Idee.

Bel Ètage: Ich denk mal, was Bel Cantor mit der Unberechenbarkeit sagte, stimmt. Wenn es mit dieser Unberechenbarkeit weitergeht, kommt vielleicht irgendwann die Person X, die dann noch das Gewürz in den Pudding reinbringt und es ergibt sich diese Geschichte, dann ist es wahrscheinlich auch das, was wir sind. Wir sind ja nicht als Reaktion auf irgendwelche englischen, amerikanischen oder skandinavischen Bands entstanden, weil wir glauben, wir könnten mal einen ähnlichen Weg gehen. Es ist in Deutschland oft ein Problem, dass Bands unterstellt wird, dass sie keine eigene Idee von sich hätten. Man macht sowieso immer das, was andere Leute nicht machen.

Unruhr: Also ihr setzt das fort, was auch schon in euren anderen Bands stattgefunden hat, meinetwegen bei Lachsbarbie oder Les Jacks?

Bel Cantor: Nee, im Gegenteil. Wenn diese vorherigen Bands das Weiß waren, dann machen wir jetzt das Schwarz.

Unruhr: Aha ?!

Bel Cantor: Das ist jetzt ein bisschen übertrieben, aber meine Motivation - also ich hab ja diese Band mehr oder weniger ins Leben gerufen, indem ich die Anderen angesprochen habe und gefragt habe, ob sie Lust haben mitzumachen - war schon daraus entstanden, dass ich bei anderen Bands immer gezwungen war, mich zu fügen und dass ich diese Sachen jetzt einfach mal anders machen kann.
Bel Ètage: Es geht eher um die Kleinigkeiten, die Begegnungen, die stattfinden und was man daraus macht. Es geht nicht darum, dass wir das Collosseum neu erfinden wollen.
Bel Vedere: Was du gesagt hast, von wegen Pavement und so, das stimmt natürlich alles. Natürlich ist auch Lachsbarbie in dem Ding mit drin, weil Bel Coque au Vin auch die Lachsbarbie-Gitarre durchaus mit reingebracht hat. Solche Sachen findest du natürlich. Und ich fand Joy Division auch schon gut, als ich in den vorherigen Bands gespielt habe. Aber ich hör bei uns immer nur Nuancen davon.

Unruhr: Auf jeden Fall haben alle, die heute Abend nicht dabei waren eine klasse Show verpasst. Ich dank euch für das Interview.

-tf-

Links:
www.Americanleadguitar.com
http://www.forensico.de/American_Lead_Guitar.html

Fotos: tf