Was die Graphic Novel von Peer Meter und Barbara Yelin so einzigartig macht, ist nur vordergründig der unerhörte Kriminalfall, der Bremen von 1828 bis 1831 erschütterte. Das eigentliche Gift durchzog damals die Straßen der Stadt und ihre opportunistische Bürgerschaft.
Habgier, Wollust, Heimtücke und niedrigste Beweggründe - das müssen die Ursachen für das beispiellose Morden der 43-jährigen Gesche Margarethe Gottfried sein. Von 1813 bis 1827 vergiftete sie fünfzehn Menschen mit "Mäusebutter", einem mit Arsen versetzten Schmalz, der eigentlich den Plagegeistern der Stadt vorbehalten war. Unter den Toten sind nicht nur ihre Ehemänner und Eltern, Freunde und Bekannte, sondern auch ihre eigenen drei Kinder. Bereits in den ersten Verhören gestand Gesche Margarethe Gottfried und - so lassen heutige Erkenntnisse wohl rückschließen - offenbarte den Charakter einer psychisch kranken Frau, deren Morde pathologische Ursachen hatten.
Ihr Anwalt, Friedrich Leopold Voget, erkennt dies und nutzt es für seine Verteidigung - später jedoch veröffentlicht er ein Buch über die Mörderin, in der er eher das Bild einer moralisch verdorbenen Sünderin zeichnet. Warum? Zum einen, weil es sich besser verkaufen ließ. Und zum anderen? Weil es der Bürgerschaft der Stadt einige unangenehme Selbstbespiegelungen ersparte.
Denn nicht nur aus heutiger Sicht darf man sich fragen, wie eine Frau 15 Menschen umbringen konnte, ohne dass jemand Verdacht schöpfte bzw. nach Ursachen für die vielen Tode in ihrem Umfeld suchte. Das dürfte auch der Grund sein, warum das Verfahren gegen die Mörderin nach den Regeln der Inquisition durchgeführt wurde und daher keine Öffentlichkeit zuließ.
Meter und Yelin zeichnen das Bild eines Bremer Bürgertums, das trotz Aufklärung noch in traditionellen, von Aberglauben und Mystik geprägten Weltbildern verhaftet, gleichwohl aber von recht unverhohlenem Opportunismus gekennzeichnet ist. Der strenge Wertekonservativismus und die bürgerliche Fassade verhüllen eine vergiftete, von Misstrauen, gegenseitiger Schuldzuweisung und Egoismus geprägte Gesellschaft. Rituale und Traditionen helfen, das eigene moralische Desaster zu vertuschen.
Meter und Yelin haben diese Doppelbödigkeit und vergiftete Atmosphäre so kunstvoll in Szene gesetzt, dass es einen fröstelt. Sie schicken ihre Protagonistin, eine junge, aufgeklärte Schriftstellerin, die eigentlich einen Reisebericht über Bremen verfassen soll, durch die dunklen Gassen der Stadt, in finstere Kammern und unterirdische Gewölbe. Bilder und Text sind oft scheinbar gegenläufig. Die "gedachte Kamera" entfernt sich von der eigentlichen Szenerie und verfolgt ein anderes Ziel, das alltägliche städtische Leben, während die Stimmen der Redner noch aus dem Off weiter klingen und die Panels finster-poetisch untermalen. Die Bremer Bürger lassen zu keinem Augenblick eine Identifikation zu, sind Gefangene ihrer eigenen Welt und unfähig zur Selbstreflexion. Jeder Besucher wird zum Eindringling, was jedoch nur eines um so deutlicher offenbart, nämlich die Last des eigenen Gewissens und die verdrängte Erkenntnis über das eigene Versagen. Eine durch und durch vergiftete Gesellschaft, deren Irrtümer - das offenbart das Ende - sich bis heute fortpflanzen. Eine Graphic Novel, die man gelesen haben muss.