Prosopopus. Von Nicolas de Crécy. Eine Graphic Novel.

prosopopusSchon der Titel dieser Graphic Novel ist rätselhaft. Prosopopus, das klingt prustend, nach dicken Backen und Nilpferden. Wie praktisch, dass dem unkundigen Leser die Begriffsdefinition auf den ersten Seiten des Comics dargeboten wird: Ein Prosopopus ist „eine Figur, durch die der Redner oder Schriftsteller eine abwesende oder tote Person, ein lebloses Ding oder ein Tier sprechen lässt.“

Gesprochen wird hier allerdings nicht. Der Zeichner, Nicolas de Crécy, verlässt sich auf die Wirkung seiner expressionistisch anmutenden Zeichnungen. Zunächst verschließt sich die mysteriöse Geschichte von Schuld und Strafe. Der Prosopopus kommt keineswegs als freundliches Nilpferd daher; er ist ein groteskes Wesen, geboren aus Blut und Rauch und weitaus unaussprechlicheren Körperflüssigkeiten. Als gelb-oranger Fesselballon bewegt er sich durch die Häuserfluchten von New York, das hier einmal mehr als düstere Metropole in dunklen Blau- und Grautönen gezeichnet wird. Das surreale Wesen, die wulstigen Lippen zu einem debilen Dauergrinsen verzogen, folgt der Hauptfigur, will ihm Mutter, Geliebte, Krankenschwester und Rachegöttin zugleich sein. An einer Zigarre saugend beginnt es mit einer Videokamera zu filmen und hält damit dem Protagonisten strafend den Spiegel vor, indem es so Motive und Vergangenheit dieses namenlosen Mannes enthüllt. Im Film manifestieren sich die Erinnerungen unserer Hauptfigur, und langsam setzen sich die Puzzleteile von Liebe, Verrat, Vergeltung und Reue zusammen.

Wie kam es also dazu, dass ein älterer Herr in New York mitten auf der Straße erschossen wird? Der Täter, die Hauptfigur des Comics, entkommt verletzt und flüchtet in die Arme seiner Geliebten. Doch dann tritt der Prosopopus auf den Plan und die surreale (Vor-)Geschichte nimmt ihren Lauf. Keineswegs ist der Erschossene ein Opfer, denn woher kommt die abgetrennte Frauenhand in seiner Aktentasche? Genauso wenig unschuldig ist der Protagonist der Geschichte, der eine berühmte Künstlerin an skrupellose Hehler und Mörder verkauft hat.

Mit zittrigen Strichen und düsteren Farben zeichnet de Crécy eine eindringliche, aber auch verstörende und schwer zu durchdringende Geschichte. Durch den völligen Verzicht auf Sprache wird der Blick umso intensiver auf die expressive Mimik der Figuren gelenkt. Keine leichte Kost, aber eine faszinierende, meisterhaft gezeichnete Geschichte, auf die man sich einlassen muss. Das allzu bemüht intellektuell daherkommende Nachwort hätte sich der Verlag allerdings sparen können.

Prosopopus. Von Nicolas de Crécy. Reprodukt 2009. Klappbroschur, 109 Seiten, EUR 18,00

http://www.reprodukt.com/
http://fr.wikipedia.org/wiki/Nicolas_de_Cr%C3%A9cy
Zu erwerben im Popkultur-Shop.