TV-Programme, die auf die komplette Wohnzimmerwand projiziert werden, Pillen zur Sedierung des Geistes, die aufgeklärte Gesellschaft am Ende. Klingt nach 2010. Ray Bradbury hat seinen Science-Fiction-Klassiker allerdings schon 1953 publiziert und das düstere Szenario einer vollkommen entmündigten Gesellschaft gezeichnet.
Diese Düsternis hat Tim Hamilton nach der Originalvorlage jetzt in finstere, gedeckte, flächig kolorierte und irritierende Bilder umgesetzt. Stets liegt ein Schatten auf den Gesichtern, ebenso wie auf den Straßen, der Stadt und dem ganzen, nicht näher bezeichneten Land. Grelles Licht werfen nur die brennenden Bücher, die – von mechanischen Hunden mit installierter Gilftspritze aufgespürt – von der Feuerwehr systematisch vernichtet werden. Zu groß scheint den unsichtbaren Mächtigen die Gefahr, die von ihnen ausgeht. Die ursprüngliche Funktion der Feuerwehr ist in Vergessenheit geraten.
Die Begegnung mit der freigeistigen, jugendlichen Clarisse und die Selbstverbrennung einer Buchbesitzerin werfen den zunächst systemkonformen Feuerwehrmann Guy Montag aus der Bahn. Doch der Wille zur Auflehnung keimte offenbar schon früher in ihm, denn auf seinen Einsätzen hatte er schon vorher einzelne Bücher mit zu sich nach Hause genommen. Sein Chef Beatty – selbst belesen, aber innerlich zerrissen und verbittert - schöpft Verdacht, von dem sich Montag nur befreien kann, indem er Beatty mit einem Feuerstrahl tötet. Die Verfolgungsmaschinerie läuft an.
Tim Hamilton hat die zersetzende Kraft einer geistig entleerten Gesellschaft quälend und zermürbend in Szene gesetzt. Bradburys negative Utopie taugt nach wie vor als Allegorie auf den Kampf zwischen einer nie klar erkennbaren, aber stets präsenten Obrigkeit und einer degenerierten, auf das bloße Konsumieren reduzierten Masse. Höhepunkt: Der kühl inszenierte Dialog zwischen dem zynischen, vor literarischen Zitaten strotzenden Beatty und dem um Normalität bemühten Montag. Bild und Wort zerren buchstäblich an den Nerven. In diesen Augenblicken brennt dieses Buch in den Fingern und gehört daher – ganz im Sinne Bradburys – gelesen.
Fahrenheit 451: Graphic Novel. Von Ray Bradbury und Tim Hamilton.
Erschienen im Eichborn Verlag.
Website Tim Hamilton.
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