Bounty und Schwulen Killer

Homophiler ProtestJamaikanische Volksmusik erfreut sich bereits seit Jahrzehnten einer beachtlichen Aufmerksamkeit in Deutschland, die derzeit sogar einem nicht vermuteten Höhepunkt entgegen strebt, weil auch der Output von in Deutschland gefertigtem Reggae beträchtliche Ausmaße in Menge und Qualität erreicht hat. Der Beliebtheit dieser Musik hat es bisher noch nie geschadet, dass sie auch schon einmal Inhalte transportiert, die im Umfeld von Drogenmissbrauch, Despotenvergöttlichung und Gewaltbereitschaft ansiedelbar sind. Dagegen kratzt es in fast schon jahreszeitlich wiederkehrenden Wogen deutlich am Image des Reggae, wenn homophobe Songtexte ins Licht der Öffentlichkeit geraten. Aus diesem Grund ist es Bounty Killer nun untersagt worden, in Essen aufzutreten.

Vorweg: Schwulendissen ist scheiße und ein Aufrittsverbot sinnvoll, denn dieser Geisteshaltung muss zumindest bei uns kein Forum geboten werden. Doch leider geht die wiederkehrende Diskussion um die Schwulenfeindlichkeit des Reggae jedes Mal mit einem Höchstgrad an Simplifizierung, Verallgemeinerung und Undifferenziertheit einher, was letzten Endes zur der Überschrift "Schieß' ihn ab" als Übersetzung einer Textzeile nach der That-is-equal-Regel in der Westdeutschen Allgemeinen führt.

Deshalb ist es wichtig daran zu erinnern, dass die Schwulenfeindlichkeit eines Bounty Killer nicht seinem kranken Hirn entsprungen ist, sondern einer Sozialisation, der jeder jamaikanische Mann unterworfen ist. Die jamaikanische Gesellschaft ist seit jeher zutiefst schwulenfeindlich, und nicht erst seit Künstler wie Sizzla, Buju Banton und viele Andere dies thematisieren. Auch Ikonen wie Bob Marley oder Peter Tosh hätten sich bei entsprechender Nachforschung höchstwahrscheinlich latente Schwulenfeindlichkeit nachweisen lassen müssen. Deshalb ist es gar nicht nötig, dass die Sänger der Dancehall homophobe Kampagnen zur Einschwörung ihrer Landsleute starten, denn selbst die jamaikanische Polizei macht sich übelster Übergriffe auf Schwule schuldig.

Die unterstellte Schärfe der Schwulenanfeindungen, die in Stilblüten wie der oben genannten Überschrift und der Unterstellung angeblicher Mordaufrufe an Schwulen gipfelt, resultiert in unzulässigen Interpretationen jamaikanischen Slangs. Auch die deutsche Umgangssprache kennt krude Übertreibungen. Wer käme auf die Idee, nach dem Hinweis des Kollegen "Scheiß auf den Chef" dem Genannten umgehend auf das Haupt zu koten. Pinkelt dir demnächst jemand an die Karre, fährst du dann tatsächlich in die Waschanlage?

Um diesen gut gekneteten Meinungsteig richtig gehen zu lassen, gibt man gerne noch eine Messerspitze Rastafari dazu. Die Glaubensrichtung, die eine ganze Genaration mit Dritte-Welt-Romantik und easy-going-Rebellion versorgt hat, muss heutzutage ebenfalls als Katalysator der Homophobie herhalten. Zweifellos zählen die Schwulen nicht zu den besten Freunden der Rastas. Die Ursache dafür ist im häufigen Bezug der Rastas auf das Alte Testament zu finden, wodurch sich die Rastafarianer eine Gemeinsamkeit mit unserem Papst und seinen Lohnpredigern teilen. Wurde jemals über Auftrittsverbote katholischer Geistlicher nachgedacht?

Die Absage des Konzerts von Bounty Killer trifft hoffentlich die Richtigen. Wir brauchen keine Homophobie, genausowenig wie indifferente Meinungsmache. Zu befürchten ist jedoch, dass lediglich allgemeine Ressentiments gegen den Reggae in der Öffentlichkeit zurück bleiben, während Bounty Killer ungeahnte, kostenlose Publicity zu Teil wird. Denn mit seiner Musik hätte er es nie bis auf die Titelseiten gebracht.