Die Handschuhträger

auf der LinieDeutschland hat seine weiche Seite entdeckt. Sein Faible für gefährdete Exemplare. Die Liebe zu jungen Eisbären und alten Torhütern.


Es ist fast zwei Jahre her, da hielt der Showdown der alternden Alphatiere die Republik in Atem. Wer würde zur Nr. 1a des WM-Kaders werden? Auf der Zielgraden vollzog 1b-Lehmann das Überholmanöver, um dann im Sommer zum Elfmeterheld zu werden, während Ex-1a-Kahn sich auf die Zunge biss und dem Helden in spe ein freundschaftliches Shake-hands genehmigte. Damals gab angeblich das größere fußballerische Vermögen von Lehmann den Ausschlag. Denn seit Verkündigung des Wortes Jogi ist es doch so, dass jeder Torhüter den doppelten Übersteiger beherrschen und idealerweise in seiner Vita eine Stelle als Linksaußen in diversen Jugendteams nachweisen können sollte.

Aber nun droht Lehmanns 1a-Phase zum Intermezzo zu verkommen, lässt in doch sein Trainer in London nur die Ersatzbank drücken. Damit gerät seine Rolle als kommender EM-Goalie mächtig ins Wanken, 1b und 1c machen Druck, und noch weiter hinten warten Jungs wie Manuel Neuer, der offensichtlich heute noch besser Linksaußen als Torwart spielen kann. Bei dieser regelmäßig spielenden Konkurrenz fällt es Jens Lehmann verständlicherweise schwer, seiner Argumentation Gewicht zu verleihen, er reise als Arsenals Ersatzkeeper schließlich vollständig ausgeruht im kommenden Sommer nach Österreich.

Doch aus Richtung Dortmund reckte sich eine helfende Hand über den Kanal Richtung London. Der BVB witterte die Chance, durch den Nochnationaltorhüter Lehmann ein wenig Farbe in seine augenblicklich gelbgraue Fußballwelt zu bekommen. Man war auf Suche nach Ersatz für den verletzten Stammtorhüter Weidenfeller zur Überzeugung gelangt, dass man diese Rolle nicht dem etatmäßigen zweiten Mann Marc Ziegler zumuten kann, auch wenn dieser bei drei Einsätzen in der Vorrunde kein Tor kassiert hat. Da musste die Führungsspitze wieder einmal sehr argumentationsgelenkig sein, um ein zukünftiges Lehmann-Engagement zu begründen. In einer schönen Hinter-dem-Rücken-durch-die-Beine-ins-Knie-Begründung hieß es daher, man müsse im Fall von Zieglers Beförderung schließlich den Torhüter der zweiten Mannschaft auf die Ersatzbank holen, was aber sehr schädlich für die Ambitionen der Zweiten wäre.

Unerwartet schreit Jens Lehmann aber „Nein, ich komme nicht". Dafür gibt es auch einen Grund, denn eine Million Euro pro halbes Jahr Fußballspielen ist mau für einen Keeper internationalen Formats. Auch wir wollen schließlich nicht, dass Jens mittellos wie Eike Immel endet, einer von Lehmanns Vorgänger im deutschen Tor, der nun ins Dschungelcamp muss, um sich seine künstliche Hüfte zu verdienen. Zudem sorgt sich Familienvater Jens um seine Schäfchen, von denen er sich weder trennen noch einen Umzug ins triste Ruhrrevier aufbürden möchte und hält damit die wahren Werte - Heim, Hof, Familie - hoch. Schade nur, dass dies nicht als Vorbild dienen kann für all diejenigen im Land, deren verzweifelte Arbeitssuche traurigerweise die Dimension einer Kinderlandverschickung annimmt.

Trotzdem haben wir unsere Torhüter genauso lieb wie Knut, Vera und Co. Sie sehen ja auch so putzig aus, mit ihren immer viel zu großen Handschuhen.