20110110

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Putzfrau, denkt der Mann auf dem Bett. Über ihm der obligatorische Galgen, nein, natürlich nicht DER Galgen, es würde nicht einmal funktionieren, wenn ER es, Pardon, wenn er ES wollte. Putzfrau, weil sich das Türschloss dreht. Ich sehne mich zurück nach der alten Zelle. Nicht nur, weil ich da statt der Urinflasche noch richtige Beine UNTENRUM hatte.
Vor allem, weil man immer hinausschauen konnte. HINAUS in das INNERE dieser ANKLAGE, noch mal Pardon: Anlage. Das Kommen und Gehen, das Schreien der Moribundi, wenn IHR TAG angebrochen war. Auch Personal, Küche, Elektriker oder Henker. Man UNTERHIELT sich!

Der Mann ist von dem Türschlossaufschließen überhaupt erst wach geworden, es muss noch früh sein, Putzfrauen sind immer ganz früh, da schläft man sonst, meistens ist sein Zimmer, nein, ich muss mich erneut korrigieren: meistens ist die ZELLE blitzblanksaubergeputzt, wenn der Mann erwacht.
Während die Putzfrau mit dem Mopp wischt, pfeift sie in rücksichtsloser Lautstärke. Sie hat sogar die Tür aufgelassen, von draußendrinnen Tageserwachengeräusche, Geschirrklappern, der Schiebewagen mit Kaffee und Bettpfannen und Thermometern.

Ich liege auf dem Rücken - meine Matratze Schaumstoff, am Arsch ausgeschnitten, damit DER durchhängt und keine Druckstellen bekommt, ich habe also einen HÄNGEARSCH, aber das weiß ich nur aus der Theorie, meine untere Körperhälfte hat es schließlich schon hinter sich, richtigerweise heißt es also: Ichhalb oder Ichhalbe oder Halbich, jedenfalls der halbe Mann liegt auf dem Rücken - und wartet darauf, dass die Putzfrau der fremden bzw. toten Hälfte zwischen die Beine greift, nicht um das zu tun, was er sich unter anderen Umständen gewünscht hätte, besonders an so einem schummrigen Morgen wie diesem, sondern nur, um ganz geschäftig (wobei sich das, was er sich unter den besagten anderen Umständen an so einem besagten schummrigen Morgen wie diesem gewünscht hätte, auch GESCHÄFTIG hätte PASSIEREN dürfen), die warme, schwitzfeuchte und RANDVOLLE Glasflasche von seiner Morgenlatte (»das ist ein Spasmus«) abzuziehen, sie zu heben und den berühmten Morgenurin in einem Zuge auszutrinken. Letzteres bitte streichen.
Stattdessen stellt sie das - schwippschwapp - Gefäß auf ihr Wägelchen und quetscht eine neue, nein, nicht neue, sondern eine in Chlorwasser sterilisierte LEERE Flasche zwischen seine Schenkel - es WÜRDE sich eisekalt anfühlen, würde der Mann ETWAS fühlen! - es rumpelt und pumpelt, bis der gläserne Hals vor die taubentoten Leisten stößt.

Das sind die intimsten Momente des Tages, die der Mann viel zu oft verschläft. Aber er hat ja schließlich sein ganzes Leben verschlafen.

Kommentar der Putzfrau: »Geiler Sack ...«