Rock am Rande der Unruhrzone - das Area4 2007

ImagePsst...letztes Wochenende fand das Area4-Festival in Lüdinghausen statt. Wusstest du nicht? Ja, hat man gemerkt. Es waren nämlich nicht gerade viele Leute da. Das klingt jetzt vielleicht negativ, ist aber gar nicht so schlimm. Das Bild da rechts sieht echt erschreckend öde aus? Mag sein, ist aber Absicht. Denn wenn es nächstes Jahr viel voller wird, dann wird es bestimmt auch nicht so gut. Und das war es: gut. Sehr gut. Mit idealen Festivalbedingungen.

ImageDeshalb erstmal generell die Vorteile, die eine etwas überschaubarere Menschenmenge mit sich bringt:

- keine Schlangen
- angenehmes Rumstehen/Rumtanzen/Rumhüpfen bei den Austritten
- wenig Geschiebe
- relativ entspanntes und deswegen nicht ganz unfreundliches Sicherheitspersonal (man verzeihe mir den Seitenhieb auf diesen gebeutelten Berufsstand...)

Dazu gab es äußerst schönes Wetter. Also nicht Sonnenbraun schön, sondern eher diese angenehme, wohlige Wärme, gepaart mit einem angenehmen Windhauch. So, dass man im T-Shirt und frau im Top rumlaufen kann, ohne zu frieren und auch ohne Sonnenbrandgefahr.

Zum Festivalgelände gibt's beim Area4 wenig zu sagen. Der Flugplatz Borkenfelde sieht aus wie jedes andere Festivalgelände auch, sobald die Fressbuden und Accessoires-Händler alles in ihre Hand genommen haben. Kennste eins, kennste alle. Schon sehr austauschbar. Das trifft übrigens im wesentlichen auch auf das LineUp zu. Überraschungen gibt es da keine. Untergrundanspruch erhebt aber auch keiner. Wäre auch sehr vermessen. Die Folge: Rocken mit den großen Namen. Und bewährte Kost muss ja nicht immer schlecht sein. Ab und an gibt es auch positive Überraschungen...hier folgt dann jetzt ein kleiner Überblick.

ImageAufgrund verspäteter Anreise wurde der Freitag direkt zum Unglücks-/Fiasko-/Fluch-/etc.-Tag. Gerade angekommen, die wahrscheinlich gute (International) Noise Conspiracy um Ex-Refused-Schreihals Dennis Lyxzen verpasst, und das erste gesprochene Wort auf dem Gelände: Silverchair fallen wegen Krankheit aus. Na super. Zur Beschwichtigung wurde direkt das Attest von Daniel Johns, ausgestellt von einem Algemeinmediziner in Paris, eingeschweißt und an der Information ausgehangen. Geholfen hat's nichts, die Enttäuschung ging direkt weiter mit dem Auftritt der Eagles Of Death Metal. Jesse Hughes Pornostil in allen Ehren, und betrachtet als (hoffentlich) selbstironisch überspitzte Zurschaustellung seiner Verehrung des weiblichen Geschlechts für manche wohl auch ganz okay, übertreibt es der Mann diesmal. Wer möchte schon wissen, was er mit seinem Geschlechtesteil anstellen würde, wenn da jetzt keine Gitarre vorhinge? Gepaart mit einer erstaunlich blutleeren Performance (sämtliche Körpersäfte Jesse Hughes waren wohl woanders...) ergab sich ein erstaunlich klägliches Bild. Enttäuscht und als Nicht-Nostalgiker wurde dann dezent auf den NoFX-Auftritt verzichtet. Zum Glück ging es nicht so weiter...

ImageSamstag. From Autumn To Ashes bieten fetten Metalcore. Blackmail spielen wie immer. Gut, aber schon zu oft gesehen. Und Aydo Abay wiederholt sich bei seinen Ansagen auch. Allerdings gab er für viele Kollegen die Marschroute vor..."Heute Abend schieß ich mich ab und dann mache ich Juliette Lewis klar". Das sollte nicht die einzige Aussage in der Richtung bleiben. Frauen im Rockbusiness können sich anscheinend aller Aufmerksamkeit gewiss sein.
ImageDas erste wirklich Highlight des Festivals liefern Art Brut. Das zweite Album kam zwar weder bei Kritik noch bei den Verkaufszahlen an das erste heran, aber Eddie Argos Bühnenperformance macht unheimlich viel Spaß. Gekrönt wurder das Ganze von einem Mikrofonlosen Zug durch die Menge vor der Bühne. Jemand hätte ihm zwar sagen sollen, dass Schreien vielleicht in kleinen Clubs funktioniert, hier aber nicht mehr. Aber der Unterhaltungsfaktor: riesig!

So, über die 69 Eyes sehen wir hier an dieser Stelle mal einfach hinweg. Erwähnenswertes zu dieser Band gibt ees eigentlich auch nicht. Seit geschätzten 648 Alben passiert da sowieso nichts mehr. Außer einer Liedwidmung an...na, bitte raten!...richtig!...Juliette Lewis.
ImageDie durfte dann im Anschluss mit ihren Licks auch zeigen, wie man ein Publikum rockt. Was ihr auch erstaunlich gut gelang. Definitiv eine Liveband. Da fallen die Schwächen der Songs nicht so auf, wenn man sie mit reichlich Energie unter das Publikum drischt. Inwieweit die extrem körperbetonende Beinbekleidung der Hauptprotagonistin zur Ekstase vor der Bühne beigetragen hat, kann hier jedoch nur gemutmaßt werden. Selbst wer die Platte nicht mag, fand sich jedoch kurze Zeit später mindestens mitwippend vor der Bühne wieder.

ImageThe Hives rocken im Anschluss mit gewohnt großmauliger Attitüde von Sänger Howlin Pelle Almquist ihre rotzigen Hits in die Menge, die sich von Frontsau Pelle gerne zu immer wiederkehrenden Lobbekundungen zwingen lässt. Neues Material vom kommenden "The Black & White Album" macht da schon Laune auf mehr. Mal schauen...

ImageDen Headliner am Samstag geben uns anschließend Billy Talent. Der radikale Zuwachs an Menschen vor der Bühne zeigt auch: die Jungs sind populär. Sehr populär. Dementsprechend mitsingfreudig geht's zur Sache. Und ordentlich Schwung gab es auch. Dazu alle bekannten Hits. Was ja ungefähr jeden Song der Band einschließt. Es fehlte nicht viel, dann wären beide Alben komplett abgeliefert worden.

Sonntag. DER Tag. Wenigstens in meinen Augen. Soviel Subjektivität muss erlaubt sein. Objektiv über Musik schreiben funktioniert ja eh nicht.
ImageFangen wir mal mit Madsen an. Das erste Album fand ich ja anfangs echt nett. Es hatte sich nur schnell überlebt. Und die  Festivalauftritte 2005 waren auch nicht wirklich spannend. Da allerdings totgesagte länger leben, kam nun die überraschende Wende. Die Jungs können was! Sebastian Madsen präsentiert sich mit seiner gut aufgelegten Familienbande (+ x) in Bestform. Metal- und HipHop-Coverversionen eingeschlossen. Respekt. Und das relativ zahlreich erschienene Fußvolk dankte es mit den ersten Zugabe-Rufen, die ich auf dem Area4 vernehmen durfte.

ImageOkay, Festivals und Zugaben sind bekanntlich zwei miteinander unvereinbare Dinge, und der Bühnenumbau für Sparta begann. Leider ergriffen die meisten der vorher begeisterten Zuschauer die Flucht, warum auch immer. Sparta jedenfalls zogen eine powergeprägte Rockshow ab, die natürlich nicht an die Präsenz alter At The Drive-In Tage heran kam, aber zeigte, dass der oft belächelte Nicht-The-Mars-Volta-Rest glänzend aufgelegt und in musikalischer Höchstform ist. Was Keeley Davis (Gitarre) allerdings genommen hat, um dermaßen das Gleichgewicht zu verlieren, dass er mitsamt Gitarre und Amp hinterrücks mitten im Song umfällt, muss mir mal jemand verraten. Die sympathische Kuschelreaktion von Frontmann Jim Ward zeigt aber, was Sparta bei diesem Festival auszeichnet: Spaß. Die wollen spielen. Und das machen sie wunderbar. Besonders herausstechend dabei: Tony Hajjar am Schlagzeug. Da weiß jemand genau, was er tut.

Image...And You Will Know Us By The Trail Of Dead. Heißt übersetzt für das Area4: Mehr Instrumente und Menschen auf der Bühne geht nicht. Die mittlerweile obligatorischen 2 Drumsets, dazu noch 2 Keyboards und jede Menge Saiteninstrumente. Kraftvoll wie immer. Da durfte auch der Roadie mal gerne mitsingen. Es gibt ja eh nicht genug Superlative, um diese Band zu beschreiben. Ich versuche deshalb ausnahmsweise mal darauf zu verzichten. Aber ein Setabschluss mit "Totally Natural" dürfte sowieso immer göttliche Erfahrungen offenbaren. Nur kaputt ist mal wieder nichts gegangen. Anscheinend wurde Jason Reece und Conrad Keely der ein oder andere Anger Management-Kurs verschrieben. Schade, aber wenn musikalisch so ein hohes Niveau erreicht wird kann man auf die destruktiv ausufernde Rockshow gerade noch verzichten.

ImageIm Anschluss offenbaren Co-Headliner Mando Diao ein ähnliches Mitsing-Potential wie Billy Talent. Kam gut an, wurde auch entsprechend honoriert. Und die Schweden zeigten sich wirklich gut aufgelegt. Das verwundert bei der als arrogant verschrienen Band schon, da sie wie alle anderen Bands am Sonntag nur eine halbe Bühne bekamen. Sowas kann bei empfindlichen Künstlerseelen ja schonmal kritische Reaktionen hervorrufen.

Warum nur eine halbe Bühne? Einfach. Weil die abgehängte hintere Hälfte schonmal für die Tool-Show vorbereitet wurde. Und selten wurde der Begriff "Show" bei einem  Festival dermaßen passend verwendet. Technisch auf allerhöchstem Niveau, komplex, aber deshalb für viele wahrscheinlich langweilig legten die 4 zur Selbstmystifizierung neigenden Prog-Metaller einen fantastischen Gig vor. Untermalt wurde das ganze mit passenden Videoanimationen auf 4 Leinwänden, allerhand anderer Lichtdarbietung und einer ausgewachsenen Lasershow. Was für ein gigantischer Aufwand. Wer mit der Musik nichts anfangen konnte, der hatte wenigstens noch jede Menge zu sehen. Ein mehr als würdiger Abschluss.

Bleibt nur zu hoffen, dass der Veranstalter trotz der augenscheinlich geringen Besucherzahl auch nächstes Jahr ein Area4 durchführt. Ein paar Menschen mehr lassen wir dafür auch gerne zu. Auch, wenn es vielleicht nicht ganz so entspannt und gemütlich wird.

Webseite: http://www.area4.de
Fotos von Svenja Leutner