Neimo: Sturm auf die Bastille des Rock'n'Roll

NeimoMultinationaler geht es fast nicht: Eine französische Band, die englisch singt, vom britischen Indie-Rock/Pop beeinflusste Musik spielt, bei einem amerikanischen Label unter Vertrag ist und deren Sänger einen portugiesischen Background und Verwandte in Deutschland, Brasilien und den USA hat. Im eigenen Land geächtet - die dort verordnete Radioquote ist schon fast als „musikrassistisch" zu bezeichnen - machten sie sich auf, den Rest der Welt mit ihrer elektrisierenden Musik zu erobern - mit Erfolg.

Wo Napoleon letztendlich gescheitert ist, da sind Bruno Dallesandro (Gesang) und seine Mitkämpfer Matthieu Joly (Keyboard), Camille Troillard (Gitarre) und Vincent Girault auf dem besten Wege siegreich vom Feld zu ziehen. Denn, wer als Band schon in den USA Erfolge verzeichnen kann, der hat ein Leichtes auch in anderen Ländern auf seinem Feldzug zu plündern und zu brandschatzen und sich das Volk untertan zu machen.

Doch was haben die musikalischen Frontkämpfer selbst zu den Themen „bekannte Kollaborateure", „strategische Planspiele" und „idealisierte Feldherrn" zu sagen? Wer immer schon mal in Staatsgeheimnisse eingeweiht werden wollte, sollte weiterlesen!

Ich muss ehrlich sagen, dass ich sehr enttäuscht bin, weil ich erwartet hatte, dass wenigstens einer von euch diesen gelben sexy Strampelanzug aus eurem neuen Video „Lines" tragen würde.
Bruno: (lacht) Es ist lustig, dass du das sagst, denn das haben wir diese Woche schon mal gehört. Aber in Frankreich.

Bei dem Video habt ihr mit Karl Lagerfeld zusammen gearbeitet. Er hat eure Outfits entworfen.
B: Außer dem gelben Ding.

Bruno DallesandroIch hatte mich schon gefragt... Wie ist es denn zu der Zusammenarbeit gekommen?
B: Es fing letzten Juli an, als ich ein Fotoshooting für das Modemagazin „Mixed" hatte. Bei dem Shooting haben viele Bands mitgemacht wie z. B. Metronomy. Er schien mich sehr zu mögen, denn ich durfte die Klamotten behalten und bekam noch mehr dazu. Außerdem machte er riesige Abzüge von einigen der Bilder, die er von mir gemacht hatte. Zwei Wochen später kam ich noch mal zurück, und er unterschrieb sie für mich. Das war echt cool. Ein wenig später als wir das Video drehten, bot er uns mehr Klamotten an, die wir darin tragen konnten. Am Ende nahm er noch einen unserer Songs für das Finale einer seiner Modenschauen.

Ich habe gelesen, er habe vier eurer Songs verwendet.
B: Nein, es war nur der eine. Der wurde aber zweimal gespielt. Metronomy hatten auch Songs bei der Modenschau. Unserer kam als zweites und dann noch mal ganz am Ende, als er auf den Laufsteg kam. Wir hatten großes Glück. Und er ist ein sehr interessanter Mensch.

Ist er so extravagant, wie man es sich vorstellt?
B: Ich weiß gar nicht, ob ich das sagen soll, denn er hat ja sein Image, an dem er arbeitet und das er aufrecht erhalten will, aber er ist ein sehr liebenswerter Mensch, sehr respektvoll. Von dem, was ich gesehen habe, schenkt er jedem, mit dem er arbeitet Aufmerksamkeit und kümmert sich um all seine Mitarbeiter. Er ist sehr zuvorkommend und hat einen tollen Sinn für Humor. Sehr schlüpfrig, was man von einem Typen wie Karl Lagerfeld ja nicht unbedingt erwartet. Ich liebe diesen Gegensatz! Es ist so interessant, sich mit ihm zu unterhalten, denn er weiß so viel, ist so gebildet. Aber er liebt es auch, anderen zuzuhören. Ich hätte ehrlich gesagt nicht erwartet, dass er so cool ist.

Ihr habt auch mit einem anderen bekannten Mann gearbeitet: Alan Moulder. Er hat mit Bands wie den Nine Inch Nails, Smashing Pumpkins, Artic Monkeys oder The Killers gearbeitet, als die noch gut waren...
B: Ich fand die nie besonders gut.

Ihr erstes Album, „Hot Fuss", war wirklich gut, aber danach ging's rapide bergab. Und das hat er, glaube ich gemischt. Wie konntet ihr ihn als Produzenten eures neuen Albums „Moderne Incidental" gewinnen?
B: Das ist eine lustige Geschichte. Vorletztes Jahr Silvester waren wir in New York. Wir hatten gerade einen Silvester-Gig in der Knitting Factory beendet und wurden von unserer Promotionfirma eingeladen bei ihnen Silvester zu feiern. Wir hatten eine große Party erwartet, aber als wir ankamen, waren da nur etwa zwanzig Leute. Ich wurde einem großen Engländer vorgestellt, der Alan hieß. Eine halbe Stunde später kam unsere PR-Agentin und meinte: „Ich muss dich unbedingt Alan Moulder vorstellen." Ich sagte: „Was? Ich hab da vorhin einen großen Engländer begrüßt. Du willst doch nicht etwa sagen, dass das Alan Moulder war?" Und sie meinte: „Doch!" Ich fragte sie: „Weißt du eigentlich, dass er ganz oben auf unsere Liste von Produzenten steht, mit denen wir bei unserem neuen Album zusammen arbeiten wollen?" Neben ihm standen da noch Typen wie Brian Eno oder Tony Visconti drauf.  Sie antwortete: „Ich weiß, deswegen werde ich dich ihm vorstellen." Also redete ich die ganze Nacht mit ihm, wir tranken ziemlich viel - es war ja Silvester -, und einige Wochen später entschieden wir uns, wieder mit ihm Kontakt aufzunehmen und ihn zu fragen, ob er unser Album produzieren will. Er sagte „ja".

Matthieu JolyWarum stand er auf eurer Liste?
B: Zuallererst lieben wir das Meiste seiner bisherigen Arbeit.
Matthieu: Wir suchten jemandem, dem wir einfach unsere Tracks geben und dem wir vertrauen konnten, dass er sie nicht total ändert. Er hat so viel gemacht, das wir wirklich mögen, besonders das letzte Album der Arctic Monkeys, das dem sehr nahe kam, was wir uns für unsere Mischung vorstellten. Es war also offensichtlich, dass er mit unserem Material gut würde arbeiten können. Und das Ergebnis war genau das, was wir uns vorgestellt hatten.
B: Wir haben zehn verschiedene Toningenieure und Produzenten ausprobiert. Wir hatten alles schon aufgenommen und wussten, dass es etwas war, auf das wir stolz waren, aber es sollte noch einen Schritt weiter gehen. Technisch konnten wir selbst das nicht erreichen, wir hatten alles getan, wozu wir in der Lage waren. Also haben wir zehn verschiedene Mischungen von zehn verschiedenen Toningenieuren ausprobiert. Sie haben alle gute Arbeit geleistet, aber keiner von ihnen hat wirklich verstanden, wonach wir suchten. Als wir dann Alan Moulder trafen, hofften wir, dass er verstehen würde, worum es uns ging. Und er verstand es. Er schrieb alles, was wir ihm über die einzelnen Lieder und die Art wie sie werden sollten erzählten, auf ein Blatt Papier. Dann sagte er: „Okay, ich werde jetzt alleine daran arbeiten und wiederkommen, wenn ich fertig bin. Dann könnt ihr mir sagen, ob ich etwas verändern soll." Das Meiste war einfach nur perfekt. Es gab nur minimale Änderungen. Er hatte ganz genau verstanden, wonach wir die ganze Zeit gesucht hatten.

Warum ist der Albumtitel französisch?
B: Das ist wieder eine lange Geschichte, aber nicht so lang wie die anderen (lacht). In dem siebten Lied auf dem Album, „Diamond Lane", singe ich: „Call it modern incidental love." Wir dachten, das würde sich ganz gut als Albumtitel machen. „Call it" wollten wir aber nicht drin haben, genauso wenig wie „love", sondern wir wollten nur „modern incidental" behalten. Dann dachten wir: „Okay, wir haben ein amerikanisches Label, also werden wir die Tatsache betonen, dass wir aus Frankreich kommen." Also nannten wir es „Moderne Incidental", denn das hat von beiden Sprachen etwas.

Frankreich ist ja nicht gerade berühmt für seine Rockbands. Wenn ich bezüglich Musik an Frankreich denke, kommen mir eher Namen wie Jacques Brel oder Edith Piaf in den Sinn, eher Singer/Songwriter. Mit welcher Musik seid ihr denn aufgewachsen?
B: Ganz sicher nicht mit französischem Rock'n'Roll (lacht). Wir hören sehr viele unterschiedliche Sachen. Wir alle haben einen anderen musikalischen Background. Meine Eltern kommen aus Portugal, deswegen bin ich mit Fado aufgewachsen, traditioneller portugiesischer Musik. Ich hörte alles, was ich auf MTV oder VIVA gesehen habe. Wir konnten nämlich VIVA empfangen (lacht).
M: Wir sind alle mit englischer Musik aufgewachsen. Ich war aber eher an New Wave interessiert, wegen meiner Schwester. Sie gab mir immer ihre Kassetten. Das ist die Art von Musik, die ich zur Band beisteuere. Ich spiele den Bass, aber es ist kein richtiger Bass, sondern ein Keyboard Bass, der allem eine etwas andere Note gibt.
Camille: Als ich 14 war, ließ mich mein Vater seine Schallplatten hören. Da war ich endlich alt genug, sie nicht mehr kaputt zu machen (lacht). Ich hatte nicht genug Geld, um mir meine eigenen CDs zu kaufen, und was im Radio lief, gefiel mir nicht. Also hörte ich viel von der Musik, die mein Vater hatte, wie die Beatles oder Led Zeppelin.

Camille TroillardDu hast gerade das Radio erwähnt. In Frankreich gibt es ja eine Quote, die vorschreibt, dass mindestens 40% von dem, was im Radio gesendet wird, französisch sein muss. Stellt euch einfach mal vor, es gäbe diese Quote nicht. Denkt ihr, ihr wärt genauso erfolgreich wie ihr es jetzt seid? Ihr musstet ja deswegen einen anderen Weg einschlagen.
B: Das ist eine sehr gute Frage. Aber ich denke, es wäre viel einfacher. Obwohl, wie du gesagt hast: Wir mussten härter arbeiten, als wir es sonst vielleicht gemusst hätten.
C: Das ist typisch für Frankreich. Diese Quote ist die Konsequenz aus dem Zweifel, die das Musikbusiness gegenüber einheimischen Produktionen hegt. Eigentlich widerspricht es sich damit selbst. Aber auch, wenn das Radio offener für Bands wie uns wäre, würden trotzdem noch viele denken, wir könnten nicht so gut sein wie ausländische Gruppen. Als wir dann in den USA und England waren, haben wir gesehen wie sehr dort die einheimischen Bands unterstützt werden. So eine Denke gibt es bei uns einfach nicht.
B: Man muss sich nur die Band Phoenix anschauen, die im Ausland so viel erfolgreicher ist als in Frankreich.
M: Sie spielen nur zwei Konzerte im Jahr in Frankreich. Sie wollen dort nicht mehr spielen, weil sie im Ausland viel mehr Erfolg haben.

Bruno, du hast eine Weile in den USA gelebt, oder?
B: Nein, ich war zwar als Kind öfter mal dort, habe aber nie da gewohnt.

Tsk, da sieht man mal wieder: Glaub nichts, das du im Internet liest!
B: Ja, das stimmt! Also, wie ich vorhin gesagt habe, kommen meine Eltern aus Portugal. Unsere Familie ist sehr groß und über die ganze Welt verstreut. Ich habe Verwandte in Deutschland, in Münster, in Brasilien, natürlich in Frankreich, und ein großer Teil lebt in New Jersey. Die haben mir beigebracht zu sprechen.

Englisch zu sprechen...
B: (lacht) Ja, sorry.

Aber du warst ja schon recht oft dort. Wie hat das deinen musikalischen Stil beeinflusst?
B: Na ja, es war ziemlich schwierig in New Jersey musikalisch beeinflusst zu werden (lacht). Aber das erste Mal, als ich meine Verwandten in New Jersey besucht habe - ich war 13 -, haben meine Cousins Pearl Jam gehört. Wirklich beeinflusst hat mich das nicht, aber es hat eine Rolle in meiner musikalischen Bildung gespielt. Das bestimmt. Aber wenn ich mich auf die USA beschränke, dann kommen meine Einflüsse eher aus New York als aus New Jersey. Auch wenn die beiden nicht wirklich weit voneinander entfernt sind, so gibt es doch einen riesigen Unterschied im kulturellen Bereich.

In New York lebt auch ein sehr bekannter Sänger, von dem du einmal gesagt hast, dass er ein großer Einfluss für dich ist: David Bowie.
B: Oh ja, definitiv!

NeimoWas genau fasziniert dich so an ihm?
B: (singt) Ch- ch- ch- changes! Am meisten fasziniert und die Zeit, in der er z. B. für „Ashes To Ashes" als Clown verkleidet war, auf dem Album „Scary Monsters". Oder das Album „Low". Also die Zeit von 1977 bis...

Quasi seine Berlin-Jahre.
B: Ganz genau. Musikalisch und produktionstechnisch war das eine spannende Phase. Aber auch seine spätere Arbeit in den späten 90ern, als er dann zur Jungle Music überging. Er ist so faszinierend, weil er sich ständig verändert. Er ist ein richtiger Entertainer. Bei ihm wird es nie langweilig.

Was ist euer Lieblings-David-Bowie-Lied?
B: Gute Frage... Ich glaube, ich würde sagen „Sound And Vision" ist mein Lieblings-Bowie-Lied. Aber ich mochte auch immer „Ashes To Ashes" total gerne. Und „Young Americans". Es gibt einfach zu viele, die ich mag (lacht).
C: Ich finde, es kommt total auf die Stimmung an. Er hat so viele unterschiedliche Lieder mit unterschiedlichen Stimmungen. Aber trotzdem haben sie alle dieselbe Färbung, so dass man genau weiß: Das ist von David Bowie.

Seine Stimme ist auch unverwechselbar, die erkennt man immer.
B: Ja, aber sie hat sich über die Zeit auch verändert.

Das stimmt, aber sie hat immer noch diese unverwechselbare Qualität.
B: Nur ist sie von dieser hohen in eine Stimmlage gewechselt, die voll von Zigaretten und Nikotin geprägt ist.
M: Was ich faszinierend finde, ist, dass sich alle Alben von ihm genau so anhören wie die Zeit, in der sie entstanden sind. Ein Album aus den 80ern hört sich typisch 80ies an. Er hat immer versucht, auf der Höhe der Zeit zu sein.

Oft hat er aber auch die Zeit mit definiert oder war ihr voraus.
C: So war es, als er mit seinem Album „Outside" Jungle Music gemacht hat. Mit dem Nachfolger „Earthling" wurde er elektronischer. Bei „Outside" hat er angekündigt, dass es das erste von zwölf Alben sein würde. Leider hat er das nie umgesetzt. Ich weiß nicht, warum.

Bruno DallesandroWelche Bowie-Figur wärt ihr: Ziggy Stardust, der Thin White Duke oder Jareth, der Koboldkönig aus „Die Reise ins Labyrinth"?
B: Bei mir wäre es der Thin White Duke. Er hatte eine solche Klasse zu dieser Zeit. Ich mag ja auch den Glam-Rock-Aspekt von Ziggy Stardust, aber ich steh nicht so auf Make-up (lacht). Er hat zwar auch als der Thin White Duke Make-up getragen, aber ich mochte sein übertrieben rotes Haar, das total ordentlich gekämmt war, und die Art wie er sich kleidete.
C: Bei mir geht es auch in diese Richtung. Ich bin nur nicht ganz so exzentrisch.
M: Ich wäre auch der Thin White Duke.

Bruno, ich habe gelesen, dass du Romantik sehr wichtig findest. Was ist für dich romantisch?
B: Das hat etwas mit der Einstellung zu tun. Manchmal kann es auch nur eine kleine Geste sein, die Art sich anderen gegenüber zu verhalten. Ich finde, bei Romantik geht es um Grazie. Man muss feinfühlig und sensibel mit anderen Menschen umgehen. Vielen Menschen geht es so viel schlechter als einem Selbst. Man muss versuchen, genauso viel Anmut in ihr Leben zu bringen, wie man für sich selbst herauszieht.
M: Mir fällt da immer die Songzeile mit dem „double-decker bus" ein. Die Art einen romantischen Text mit Rockmusik zu verbinden.
B: Ja, genau. „And if a double-decker bus crashes into us such a heavenly way to die by your side". Besser kann man es nicht sagen.

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