War der Archivar von Trojan Records besoffen?
In den Archivkellern des legendären Londoner Reggae-Labels Trojan schlummerte seit 1973 ein Schatz, der erst jetzt wieder ans Tageslicht gelangte. Im Sommer 73 nämlich war Desmond Dekker in London, um mit den Aces in Jamaica eingespielte Tunes abschließend mit Gesangsspuren zu versehen. Dabei ist heraus gekommen, was nun als vollständiger Langspieler "Pretty Africa" vorliegt.
Ein Album mit zwölf Titeln voller Ska, Rocksteady und frühem Reggae. Schließlich war dies die Kernkompetenz von Desmond Dekker & The Aces. Der 2006 verstorbene Dekker bescherte Trojan Records mit diesem Sound bereits zuvor einen veritablen Erfolg, als sein Song "Israelites" am 22. April 1969 die Spitze der britischen Charts erklomm. Als erster Reggaesong überhaupt. Zwar hielt sich "Israelites" nur eine Woche auf der Eins und musste sich dann "Get back" von den Beatles beugen. Doch es war damals ein bemerkenswerter Schritt für den Reggae.
Fast exakt 50 Jahre danach veröffentlicht Trojan nun das in feuchten Kellern geborgene "Pretty Africa". Die Bänder wurden natürlich einer gesunden Soundkur unterzogen und so präsentiert sich der alte Sound frisch und frech. Mit tänzelnder Leichtigkeit kommen einem die 12 Stücke entgegen und beim Hören fragt man sich, warum es doch viele Menschen gibt, die mit Reggae nichts anfangen können. Der Sound von "Pretty Africa" trägt die Sonne in sich. Schimmelnde Pilze und englische Kellerasseln konnten ihm nichts, rein gar nichts anhaben.
Dass die exzellenten Songs 1973 im Keller verschwanden, mag allerdings auch handfeste wirtschaftliche Gründe gehabt haben. Denn es war die Phase, in der neuer, cooler Roots Reggae das Stadtgespräch dominierte. Wenige Monate bevor Desmond Dekker die Songs von "Pretty Africa" in London voicte, war das bahnbrechende Album "Catch a fire" von The Wailers erschienen. Ein Album, mit dem Bob Marley, Bunny Wailer und Peter Tosh den Sound des Reggae in den Folgejahren prägten. Und Desmond Dekker lief der Musik mit seinen in den Endsechzigern verwurzelten Songs ein wenig hinterher. Denn wirklich auf der Höhe der damaligen Zeit ist nur der letzte Tune des Albums von Al Barry. "Jah Jah children" könnte auch von Keith Hudson produziert sein, der sich ebenfalls in den beginnenden 70er für hochwertigen Roots Reggae verantwortlich zeigte.
Und so musste Trojans Archivar womöglich bei klarem Verstand - wenn auch vermutlich kopfschüttelnd - den Anweisungen der Geschäftsleitung folgen und die Bänder von "Pretty Africa" in seinen verstaubten Regalen unterbringen. Gut, dass man dort noch einmal nachschaute.
Erscheinung: 2019 (13.04./17.05.)
Label: Trojan Records