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Badunfall

badunfallIch bin der Mann im Rollstuhl, der im Schwimmbad den anderen Mann beobachtet, den, der im Kleinkindbecken liegt und den Kopf am Beckenrand abgelegt hat, die Kante im Nacken, den Körper im Wasser, und führe die Überlegung, für ein Kind einen Ball (o.ä.) so zu werfen, dass es den wie ein Hund holen möchte, man die Schrittlänge des Kindes aber vorher mit Augenmaß abgeschätzt hat, das Kind also am Start noch festgehalten und in seiner Position korrigiert wird, so derart, dass es unweigerlich in seinem Eifer auf die obere Brust des Mannes springt (man hat vorher ein Kind ausgewählt, das durch eine gewisse Rücksichtslosigkeit, zumindest Eigensinnigkeit aufgefallen ist), was ebenso unweigerlich, da der Nacken des Mannes genau auf der Kante liegt, trotz des geringen Gewichts des Kindes, allein aufgrund des Stoßes (physikalisch des Impulses, oder auch »Kraft ist Masse mal Geschwindigkeit«), und weil der Nacken im entspannten Zustand (und der Mann ist sehr, sehr entspannt, er träumt geradezu) eine empfindliche Schlüsselposition einnimmt, sich also alle Parameter räumlich wie zeitlich an diesem Punkt Nacken-Kante in optimaler Weise bündeln, zum Bruch in der Halswirbelsäule, zur Durchtrennung oder zumindest irreparablen Beschädigung der Nervenbahnen im Rückenmark führen wird, mit anschließender lebenslanger Lähmung aller vier Gliedmaßen, was man auch Tetraplegie oder Querschnittslähmung nennt.

Ich, der Mann im Rollstuhl, der das Kind geschickt hat, werde, während sich alle Aufregung auf den verletzten, womöglich bewusstlosen, vielleicht beinahe ertrinkenden, vielleicht aber auch panisch wimmernden Mann (richtiges Schreien ist aufgrund der fehlenden Nervenverbindung zur Lungenmuskulatur nicht mehr möglich) konzentriert (Bademeister, Sanitäter, Notarzt, Angehörige), während zudem noch in irgendeiner Form das schuldige Kind beruhigt, zumindest abgelenkt werden muss, mich selbst bezichtigen, durch lautes Klagen darauf aufmerksam machen, dass ich ja den Ball noch geworfen habe, ich also das Kind geschickt habe, es also nicht die des Kindes, sondern meine Schuld sei, so lange, bis man auch mir die erforderliche Zuwendung schenkt, Zuwendung, die der andere vielleicht nötiger hätte, der, der von einem Moment zum nächsten nichts mehr gefühlt hat, nur den schräg von der Kante ins Wasser hinabgerollten Kopf und die plötzliche Atemlosigkeit und die damit verbundene Sprachlosigkeit (sprich Unfähigkeit, Zuwendung einzufordern), man also viel Kraft darauf verwendet, den Mann im Rollstuhl zu trösten, er könne nichts dafür, das sei nur ein großes Unglück, ein böser, böser Zufall und ganz und gar nicht seine Schuld, und man ihn bemitleiden wird, für diese Schuldgefühle, diese Last noch oben drauf auf diesem elenden Rollstuhlfahrerleben.

Der Mann im Rollstuhl wird hinter seinen Tränen den Mann auf der Trage beobachten, über die Fliesen rollend auf dem Weg zum Hubschrauber, und für eine halbe Sekunde werden sich ihre Blicke kreuzen, eine halbe Sekunde, an die der Mann auf der Trage sich später nicht erinnern wird, nur an die Botschaft, an die in all dem Lärm zugeraunte, zugeflüsterte, vielleicht nur mit den Lippen geformte Botschaft des Mannes im Rollstuhl.

Kommentar der Putzfrau:
»Willkommen im Klub!«