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Kaffeeölung

 

KaffeeHeute war Bennos großer Tag. Benno von schräg gegenüber. Benno, der Kellnermörder.

Benno hat sich für mich entschieden. Als Kompagnon. Ich durfte mit ihm diese berühmte letzte Mahlzeit teilen, die jedem zugestanden wird wie einem kranken Kind. Wie eine Entschuldigung.

Wir frühstückten. Benno liebte gutes Frühstück. Hatte sich nur für diesen Tag seinen verchromten Handhebel-Kaffeekocher kommen lassen, der über die Jahre in einem Magazin der Anstalt verpackt gewesen war. Und eine ganze Dose seines Lieblingskaffees, dunkelbraun, fast schwarz und so ölig, dass er einen glänzenden Abrieb auf den Fingern hinterließ. Benno lächelte mir ernsthaft zu, als ich am gedeckten Tisch saß. Dann erklärte er mir, dass er leider nur auf den allerletzten Akt noch Einfluss habe, doch dass auch schon das Mahlen der Bohnen wichtig gewesen sei, und vorher das Rösten, und davor das richtige Wachstum, der Boden, die Nährstoffe und überhaupt die ganze Fürsorge. Schließlich sei ja der Kaffee etwas Lebendiges - jede Pflanze, jede Bohne ein Individuum. Wichtig schon das Herausschälen der weichen, sich aneinander schmiegenden Samen aus der pelzigen Hülle, das Waschen der Ernte im Bottich, und dann das langsame Ausdörren in der tropischen Sonne, so lange, bis jede einzelnen Bohne ausreichend gefestigt ist, um in der Pfanne nicht zu platzen. Beim Rösten dann die Verkrustung, das Eindampfen der ätherischen Öle in ihren schrumpfenden Körper, ohne zu verbittern. Erkaltet und hart geworden wie Stein verbringt die Bohne viel Zeit unter ihresgleichen, und das einzige Ereignis ist, irgendwann, das Zermahlenwerden zu Pulver, gerade so fein, dass ihr Duft mit den Körnchen verhaftet bleibt.

Erst im letzten Akt die Befreiung. Benno versprach, dass ich heute nicht bloß Kaffee, sondern sein pures Wesen trinken würde, etwas, das jenseits meiner physischen Vorstellungen von Kaffee läge. Also war sein letztes Frühstück vor allem ein konzentriertes Hantieren, Probieren und Fachsimpeln, als wäre ein wirklich guter Kaffee das Letzte, was man im Leben noch erreichen könne. Zwischendurch, Benno hatte sich ein frisches, knuspriges, goldbraun glänzendes Brötchen mit Butter und Erdbeermarmelade bestrichen, fragte er mich, vielleicht auch nur sich selbst: "Müsste es nicht heute anders schmecken? Wie das allererste Brötchen im Leben?" Dann lachte er herb, biss hinein, kaute, und als ich ihn ansah, meinte er nur: "Schmeckt wie immer. Eine gute Marmelade, ja, aber eigentlich wie immer..." Und schon war er wieder beim Kaffee, achtete auf die richtige Menge des Mehls, das mit dem Tamper wieder zu einem Ganzen zusammengepresst wurde, und auf den richtigen Moment, an dem er das heiße Wasser durch Hochziehen des Hebels in die Siebarmatur leitete, wo es in den Körper drang und sich mit den Aromen vermischte. Mit entschlossenem Blick, in einer einzigen, präzisen Bewegung drückte er dann den Hebel hinab, wodurch das Eluat von allem Überflüssigen getrennt wurde und als schwarzer, bitterherber und ganz leicht nach Diesel riechender Strahl in die Tasse tröpfelte.

"Die Seele der Kaffeebohne!" sagte Benno und zwinkerte mir verschwörerisch zu.

Ich hätte ihn beinahe gefragt, wie denn seine Seele heute... , aber ich traute mich nicht. Denn da stand schon der Mann in der Tür, und Benno schien so vergnügt, wie er mit halb geschlossenen Augen seinen letzten Espresso schlürfte.

>>> Kommentar der Putzfrau:
Ich hab' den Kaffee langsam auf. <<<

Derhank, Juli 2009