20111120

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Geschichten aus der Todeszelle

 

Das Ganze hat nur eine Konsequenz: Das Gitter hebt den Penis.
»Hör auf!« sagst du, und schreist es, weil dir das unerträglich geworden ist, diese Bauchnabelschau eines sich im Kreise drehenden. Das Gitter, willst du mir sagen, DU, du Leser oder, noch schlimmer, du Autor, das Gitter ist nur der gewaltlos perfide Versuch, mich, den Mann im Rollstuhl, nicht nur äußerlich per Todeszelle und Paraplegie, sondern ganz und gar bis ins tiefste Innere zu umklammern, mich willenlos und marionettenhaft zu deinem Ebenbild zu machen! Ja Gott! Eben nicht EBEN! Wie schon der biblische willst du mich (dich!) ja gar nicht sehen! Vielmehr soll ich das sein, was du NICHT bist, willst mich genau dahinbiegen und -kneten, wo du nie hinkommst, wie der Vater den mit allen seinen ungelebten Lügen belegten Sohn in seine Karriere drängt, wie die Mutter die Tochter zum Objekt ihrer Begierde formt! Du willst mich machen zu dem, der du nie die geringste Chance je gehabt hast zu sein; zu einem eloquenten Schönen, ALLSEITS BELIEBT!
Aber begreifst du denn nicht, dass ich, wie sehr du mich auch verschnürst, am Ende doch immer DICH SELBST abbilden werde? Leser! Autor! Plagiat des Lebens! IHR könnt MIR entkommen, und ich NICHT euch! Und doch werde ich, der ich hier auf meinen letzten Tag warte, euch beide überleben, wie schon der Weiße Wal den Kapitän Ahab.
»Never call me Ishmael!«, denn am Ende wirst DU AN MIR kleben, verstrickt in deinen Harpunen, mit denen du mich hinrichten wolltest und die mich nur unsterblich machten! So wirst am Ende du nur dir selbst zu- oder nachwinken und ... 

»Shut up!« Der Machobulle schnauzt durch das Türfenster, »Shut up, you fucking pholisiphy, you and your damned fucking wailing, moaning, fussing, whining, brawling, bleating, lamenting, grousing, complaining, peenging, yammering, whinging, squealing bullshit! I can't stand you heap of shit, 'cause this cell is my cell! this cell ist your cell!
From California, to the New York Island,
From the redwood forest, to the gulf stream waters,
This cell was made for you and me!«

Man glaubt nicht, was so ein Kerl für eine schöne Singstimme hat. Der Mann im Rollstuhl, der mit trüben solchen o.g. Gedanken im Bette liegt, richtet seinen verhärmten Oberkörper gegen die Schwerkraft äußeren und inneren Eisens auf, biegt seinen versehentlich aufrechten Drahtpenis wieder nach unten, zieht sich den kaputten Rollstuhl heran und wuchtet die Füße, die Beine, und dann das vor sich hin dekubitierende Gesäß hinein und PLUMPS.

Derweil ist die ganze Station von der Musikalität ihres Peinigers ergriffen. Die BÖSEN Männer stehen hinter ihren fetten Stahltüren, lugen durch die winzigen Guckfenster und singen.
»As I was walking a ribbon of highway
I saw above me an endless skyway
I saw below me a golden valley
This cell was made for you and me!«

Mein Stuhl fährt nicht, und meine atemlose Lunge bringt keinen Ton hervor, so sehr man sich auch um Stimme bemüht. Eine Marionette, mein lieber Aufseher, ist dagegen (mich) zumeist von erschreckender Lebendigkeit, eine Marionette, trainierend in der Halle der (Un-) Gerechten.

 

>>> Kommentar der Putzfrau: »Ich liebe den Gesang des männlichen Pirols zur Morgendämmerung ...«